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Rock  Magazin

Die Parallel-Welt von gatter: bonjour petite tristesse

HELENA
Die Parallel-Welt von gatter: bonjour petite tristesse

Alles hat seine Zeit. Und für die Betrachtung der CD "bonjour petite tristesse" von gatter braucht es Zeit. Es handelt sich dabei um Musik, die Stimmen fast nur funktionell einsetzt als Sprachfetzen und ansonsten völlig von der intrumentalen Gestaltung lebt, die sich aus gegenseitig fremd erscheinenden Genres speist.

Meditative Atmosphären treffen auf Rockaspekte - in der Selbstbeschreibung der Band liest sich das so: "Die fünf Musiker hören unterschiedliche Musik - Düster-Metal (Paradise Lost), Elektro-Klänge (Aphex Twin), atmosphärischen Rock (Mogwai). Diese Einflüsse werden mit Dialogen aus Filmen verbunden und erzeugen so in ihrer Summe geistige Schwebezustände."
Und das ist gar nicht so schlecht definiert. Da die Musik ohne Gesang auskommt, erweckt die Musik defintiv Assoziationen eines interplanetarischen Hörspiels.

Ein Hörspiel, das sich in folgenden sieben Kapiteln zeigt:

01. Passage - "wenn man, wie wir, in einer industriestadt aufwächst wird einem schnell bewusst: der lange gang durch die passage wird immer wieder gestört durch menschen und die dadurch entstehende bedrohung"
Das Opening ist klanglich ein recht herber Einstieg - der Sound wirkt nach Aufnahme in einer Tiefgarage mit einem Mikro - eine zugegeben harte Beschreibung, aber kann man es nicht beschönigen. Wer diesen Track übersteht, den erwartet in der Folge die ein oder andere Überraschung, denn der Sound dieses Intro-Stücks ist nicht repräsentativ für das gesame Paket. Bei den anderen Stücken überlagert der Eindruck der Klangqualität sonst nicht den Song an sich. Vielleicht auch nur die "Passage" ins gatter-Universum...

02. Exit pluto? - "...irgendwann stellt fast jeder einmal fest „es geht so nicht mehr weiter“, wie auch immer, was dann?....exit pluto?"
In seiner Komplexität der vielleicht beste Song der CD. Hier wirken die unterschiedlichen Einflüsse des elegischen Elektro-Space-Gewands und der rockigen Saitenschruberei am homogensten verbunden. Richtig beeindruckend wird es, wenn sich dann die Flötenklänge hinzugesellen... eine wahrlich großartige Zusammenführung, die in einem furiosen "Mission: Start Ignition"-Finale mündet.

03. Birdy - "...die enge, die uns beklemmt ist mit der schwerkraft verbunden...“ich kann nicht nach draussen gehen, das steh’ ich nicht mehr durch. wir sollten uns verkriechen und mit niemanden mehr reden“( ...und später dann versuchen der schwerkraft zu trotzen und als vogel zu entfliehen)."
Sprachfetzen in Kombination sphärischen Sounds im Stile Pink Floydscher Klänge. Durch spielerische Artrock-Sequenzen aufgelockert, entsteht ein durch und durch entrückendes Panorama vor dem inneren Auge.


04. Digistorm - "...überall leben menschen und versuchen zu überleben. religion und fanatismus verursachen krieg und zerstörung. kinder haben keine angeborene religion und vorurteile, sind aber opfer falscher lehrer und werden zu tätern erzogen und dadurch ihrer geistigen freiheit beraubt. statt „desert storm“ bringen wir lieber "digistorm“. "
Zentral findet sich das längste Stück, was sich vielleicht als Höhepunkt darstellt, aber durchaus auch als ruhendes Zentrum betrachten lässt. Sind gatter auch ansonsten keine Hektiker, so geben sie hier aber jedem Part noch mehr Raum sich behutsam aufzubauen und durch stoische Ruhe wirken zu lassen. Einen Sturm der herkömmlichen Art entfacht das nicht, eher eine Möglichkeit zum Gedankenfluss.

05. Alienmachine - "...während die wissenschaft versucht menschen zu klonen, versuchen wir unsere fischer-technik-alienmachine zu bauen, um den gen-mutanten zuvor zu kommen. wir hoffen auf beidseitiges misslingen."
Das Stück mit dem aggressivsten Ambiente. Zum Ende hin schon fast Industrial-Charakter.

06. Descent - "….zivilsation overdose and pollution."
Eröffnet mit Panflöten-Klängen (ein Deja-Vu), die für einen kurzen Moment die seltsame Nähe zu Simon & Garfunkel erwecken. In der Folge werden insbesondere durch die rhythmische Gestaltung (wie ein wütend anmutendes Grollen) aufwühlende Emotionen erzeugt. Folgerichtig laden Headbanging geeignete Passagen ein, sich auch körperlich auszuleben... wenn auch ungleich dezenter als im Mosh-Pit..

07. Antarctica - "79°40’, we remember scott, der sich in der einsamkeit des ewigen eises so verloren und einsam gefühlt haben muss, wie wir von zeit zu zeit in der eisernheit der gesellschaft („he was frozen“)."
Groovende Entspannung in einem gleichsam hoffnungsvollen, wie aber durch elektrische Störungsgeräusche unterbrochenen, Fluss - man darf sich nie zu sicher sein. Auch hier wieder großes Kopfkino und abermals scheint Mr. Gilmore Pate zu stehen, was die wunderschön raumgreifenden Gitarren anbelangt. Aber immer wenn eine solche Assoziation zu stark wird, wenden gatter das Ganze in eine andere Richtung - ein Hase & Igel-Spiel.

Im Kontext der Kommentare zu den Stücken durch gatter resultiert eine erweiterte Bedeutungsebene, wenn man das so zu sehen willens ist. Lassen die Beschreibungen zu den Tracks einen vielleicht einen Hang zur Verkopfung und Intellektualität vermuten, so ist die Musik aber vor allem durch die stets groovende Rhythmusgestaltung auch eine Freude des Bauchs. Aber es wäre ungerecht die Saiten- und Tasten-Parts dagegen abzustufen: die Vielseitigkeit mit der alle Musiker agieren, weist eine hohe künstlerische Flexibilität auf, die immer wieder kontrastreiche Sequenzen kreiert.
Viele Aspekte des Kontrastes sind interessanterweise darauf zurückzuführen, dass die Klangqualität bei den synthetischen Teilen weitaus besser ist, als bei Instrumenten, die durch Mikrofon aufgenommen wurden. Vielleicht ohne Absicht erwächst daraus auch eine Parabel über die verführerische Kraft des Synthetischen (Digitalen) im Gegenlicht des Tätsächlichen (Analogen). Was mir positiv aufgefallen ist, ist die Tatsache, dass gänzlich auf Perfektion verzichtet wurde. Spielfehler & kleine Timingschwankungen sind zu hören und verleihen einen Livecharakter. Natürlich wird dieser Punkt von anderen Ohren womöglich ganz anders bewertet werden. Manchmal empfiehlt sich auch ein schneller Griff an den Lautstärkeregler, weil es durchaus gefährliche unerwartete Pegelspitzen gibt.

Das Fazit fällt aber dennoch positiv aus - die Musik von "bonjour petite tristesse" ist zu keinem Zeitpunkt berechenbar und entführt den Hörer ohne künstliche Sperrigkeit in die Parallel-Welt von gatter. Vermag Musik mehr?

gatter sind: vok, rapunzel, fred, andrea und subjunkie Die CD ist über die Website www.gatter.info zu beziehen für 7 Euro (inkl. Porto und Verpackung). Da gibt es dann ein liebevoll gestaltetes Artwork dazu im Gegensatz zu den Frei-Tracks auf MOM.

Kommentare


von  Redaktion am 01.03.2005
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