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Albumsrezension - Aurora Ferrers “Night Oracles and Falling Stars”

Aurora Ferrer
Albumsrezension - Aurora Ferrers “Night Oracles and Falling Stars”

Selten habe ich mich so auf eine CD gefreut wie auf Aurora Ferrers aktuelles Album “Night Oracles and Falling Stars”. Im Juli war ich über die ersten Tracks der Künstlerin gestolpert und war Song für Song immer begeisterter. Das komplette Album war zu dem Zeitpunkt noch nicht veröffentlicht und so musste ich mich mit dem Pre-Release von zunächst nur fünf Liedern zufriedengeben. Das vollständige Material ist nun aber endlich zu haben. Für kleines Geld via Bandcamp, wo man die CD, sowohl als Digitalversion als auch als Hardcopy bestellen kann, oder aber kostenlos hier bei MyOwnMusic. Ich rufe allerdings ganz ausdrücklich dazu auf die Künstlerin bei Bandcamp zu unterstützen, so wie ich das persönlich auch gemacht habe. Wer wenn nicht wir hier bei MyOwnMusic wissen um den Aufwand, um die Leidenschaft, um das Herzblut, das in eine solche Arbeit fließt. Gerade bei solch einem Wahnsinnsmaterial wie “Night Oracles and Falling Stars” wäre es schön, wenn zumindest ein Teil der finanziellen Investitionen wieder an die Künstlerin zurückfließen würden. Songs von “Night Oracles and Falling Stars” haben bis zum heutigen Zeitpunkt sechs TIPPs der Redaktion abgeräumt, vergeben von drei verschiedenen MyOwnMusic-Reviewern. Dazu kommen zahllose hochklassige Bewertungen. Die Begeisterung über dieses Werk wird also breit geteilt und sollte zum Anlass genommen werden, in das Material reinzuhören. 

 

An dieser Stelle sei im Übrigen auch noch auf unser ausführliches Interview mit Aurora Ferrer hingewiesen, das parallel zu dieser Albumsrezension in den kommenden Tagen erscheinen wird und für das sich die Künstlerin freundlicherweise Zeit genommen hat. Das Interview wurde von Mindmovie geführt und wird dann als Podcast bei MyOwnMusic verfügbar sein. Für unsere Hörer werden wir es nach Erscheinen auch hier verlinken.

 

Und jetzt genug der Einleitung und hin zum Album.

 

„The Bend“ ist der Titeltrack des Albums, der auch der erste Song war, der hier bei MyOwnMusic hochgeladen wurde. Das Stück lebt vom Kontrast dunkel-harmonischer Pop-Flächen, die gekonnt eine melancholische Atmosphäre anklingen lassen, wie man sie ein bisschen von den guten alten Depeche Mode aus den 80er Jahren kennt. Kombiniert wird das Ganze mit einer kraftvollen, energiegeladenen Stimme, bei der man sich nicht wundern würde, würde sie uns auf einem Live-Gig einer krachigen Alternative Rock-Band begegnen. Bei aller geballten Power, die in den Vocals steckt, hat man dennoch keine Sekunde das Gefühl, die Sängerin käme zu irgendeinem Zeitpunkt auch nur in die Nähe ihres Limits. Der Hintergrund aus Klavier und elektronischen Klängen friert das Werk in einer düsteren Ruhe ein, von der man als Hörer jeden Moment damit rechnet, dass sie in einer brachialen Explosion durchbrochen wird. Eine Erwartung, die durch die sprühende Energie in der Stimme, gerade in den druckvollen Refrains, weiter genährt wird. Und doch entkommt das Arrangement immer wieder der Versuchung die Spannung vorschnell zu lösen und gleitet sanft zurück in den melancholisch-harmonischen Fluss der Strophen. Vielleicht gerade deshalb packt die Nummer den Hörer bis zur letzten Note, wenn der Song immer noch im Zustand maximaler Spannung endet. Die Melodie des Chorus hat man auch Minuten nach Verklingen des Stücks noch im Ohr.

 

Filigran und kristallklar wirkt dann der Anfang der zweiten Tracks „Inner Desire“. Stellenweise steht die charismatische Stimme fast alleine vor einem minimalistisch-atmosphärischen Hintergrund. Das Arrangement strahlt Ruhe aus, die eine innere Spannung umhüllt. Umso heftiger bricht sich folglich der Kontrast Bahn, wenn die Stimmung plötzlich dramatisch umschlägt und in eine laute Passage mit Zerrung und energiegeladeneren Vocals übergeht. Und es fällt auf, wie stark abseits konventioneller Songstrukturen sich das Stück bewegt. Niemand wäre erstaunt gewesen, würde dieser druckvollere Part die Funktion des Chorus wahrnehmen. Aber statt auf ein erwartetes Strophe-Refrain-Schema zu setzen, klingt das Material leise in der ruhigen Stimmung des Anfangs aus, ohne dass sich der Höhepunkt noch einmal wiederholt. Dieses Spiel mit Erwartungen macht Aurora Ferrers CD insgesamt so spannend. Nie weiß man als Hörer, was als Nächstes passieren wird. Welche Wendung der Spannungsbogen nehmen oder nicht nehmen wird. Stattdessen wird man auf eine bunte Reise durch die Stimmungen mitgenommen, mit Höhen und Tiefen, und immer mit Überraschungen und Brüchen.

 

Treibender als die beiden vorherigen Tracks beginnt „Divide and Conquer“. Gleich von Anfang an hat das Stück eine lebendige Dynamik und sprüht vor Kraft und Energie. Interessanterweise bildet der Song praktisch die Antithese zu „Inner Desire“, eine Reflektion mit umgekehrter Stimmungsfolge. Das Werk beginnt sehr eingängig und druckvoll, definitiv deutlich mainstreamiger und geradliniger als das bisherige Material. Spiegelbildlich zum Höhepunkt in „Inner Desire“ fällt der Song dann jedoch etwa in der Mitte in einen bewegenden Ruhemoment, bevor die Stimmung zurückschwingt und anzieht, wo „Inner Desire“ die entgegengesetzte Bewegung vollzog. Wo „Divide and Conquer“ straight ist, ist „Inner Desire“ kunstvoll und unkonventionell und andersrum. Die Rollen der wechselseitig inszenierten Parts werden elegant vertauscht. Es drängt sich deshalb für den Hörer der Eindruck auf, dass diese beiden Songs wie das Yin und das Yang zwei komplementäre Teile einer Einheit sind. Unabhängig von der interessanten Struktur ist „Divide and Conquer“ aber auch einfach ein verdammt gut arrangierter und top produzierter Rocksong und mein persönlicher Favorit auf dem Album. Wer noch nichts von Aurora Ferrer gehört hat, dem empfehle ich den Track zum Einstieg.

 

Sehr atmosphärisch mit einer Gänsehautstimme auf düster-dunklen elektronischen Flächen beginnt dann der vierte Track „Chasm“. Kunstvoll integriert der Song die Abgedrehtheit von Björk-angehauchten Vocals mit groovigen Progressive-Elementen, die Bands wie Tool anklingen lassen und Harmonieläufen, die an Muse erinnern. Wieder fällt das mutige unkonventionelle Arrangement auf, das den Song praktisch als lineare Entwicklung mit nur minimaler Wiederholung von charakteristischen Motiven präsentiert. Stattdessen gräbt sich die geballte Wucht der Stimmung packend unter die Haut, während laufend neue spannende Elemente in den Lautsprecher sprudeln. Dabei unterliegt der Song ständigem Wandel. Atmosphäre folgt auf Atmosphäre und die einzige Konstante scheint zu sein, dass die Künstlerin den Hörer berührt, egal wohin die Reise des abwechslungsreichen Spannungsbogens gelenkt wird. „Chasm“ war einer der Songs, die mich so begeistert haben, dass ich dem Song einen TIPP der Redaktion verliehen habe.

 

„Bring Back the Noise“ ist dann der fünfte Song auf der CD. Hier ist neben der kraftvollen Gesamtkomposition insbesondere die charismatische Stimme hervorzuheben. An manchen Stellen erinnerte mich der kristallklare Gesang fast ein bisschen an das experimentellere Material von Madonna, ein Eindruck der insbesondere auch durch die brillante Produktion dieses Albums unterstrichen wird. Gerade der eingängige Chorus prägt die Wirkung von „Bring Back the Noise“. Dabei ist der Song durchgehend progressiv genug, um frisch und unkonventionell zu wirken, während insbesondere der Refrain mit einer packenden Hookline aufwartet, die das Material auch für Fans des straighten Mainstream-Pop interessant macht. Aurora Ferrer zeigt in “Night Oracles and Falling Stars” immer wieder, dass sie von energiegeladenem Alternative Rock bis hin zu gefühlvollem Pop das gesamte musikalische Spektrum auf hohem Niveau beherrscht und in der ihr eigenen Ungewöhnlichkeit umzusetzen vermag.

 

Geradliniger als viele andere Tracks des Albums ist „The Game“. Ein bisschen weniger dunkel als der Rest der CD überzeugt der Song vor allem mit eingängigen Melodien. Insbesondere den Refrain hat man schnell im Ohr und durch seine schnörkellose Art passt das Stück am ehesten in die Kategorie „Classic Pop“. Die Schwere und das Experimentelle treten hier ein bisschen in den Hintergrund und Aurora Ferrer zeigt sich von ihrer mainstreamigeren Seite. Ich persönlich wäre kein Stück erstaunt diesen Track zu hören, wenn ich mein Radio anschalte. „The Game“ ist mit knapp dreieinhalb Minuten auch der kürzeste Track auf “Night Oracles and Falling Stars” und hat somit eine optimale Radiolänge (Hint, hint, Radiostationen …). Wer auf gut gemachten Pop mit kraftvollem Gesang steht, wer Ausdrucksstärke, Melodie, aber eben auch eine gewisse Leichtigkeit mag, findet mit „The Game“ seinen Favoriten auf dem Album. Es ist aus meiner Sicht nicht der typischste Track auf der CD, aber es ist ein Track, der durch sein eher straightes Gewand ein großes Publikum ansprechen könnte. Definitiv ein interessanter Song zum Reinhören.

 

Mit einer unerwarteten A cappella-Einlage beginnt „Medusa“, der siebte Song auf dem Album. Nicht viele Stimmen haben das notwenige Charisma unter die Haut zu gehen. Ganz auf sich alleine gestellt, ohne Begleitung, ohne Kontext, ohne jede Fläche um sich herum. Und so ist ein solcher Part immer ein Risiko. Umso beeindruckender ist es mit welcher Kraft, mit welchem Ausdruck, mit welcher Energie dieser Moment rüberkommt. Der Stimme gelingt es stark und dennoch zugleich zerbrechlich zu klingen. Gerade im Kontrast zu „The Game“ ist „Medusa“ wieder ein großer Schritt hin zu dieser ausgefallenen Kreativität und Experimentierfreudigkeit, die “Night Oracles and Falling Stars” auszeichnet, und insgesamt auch zurück zu einem deutlich progressiveren Sound. Nach dem Verklingen des Intros werden die Vocals härter, kantiger, elektrisierender und der Hörer wird von der treibenden Dynamik mitgerissen. Dabei bleibt die elektronische Begleitung durchweg minimalistisch, so dass der Eindruck vom Anfang, dass das gesamte Stück voll und ganz auf den Gesang zugeschnitten ist, bis zum Ende bestehen bleibt. Dieses Material lebt und atmet durch die Performance am Mikrophon.

 

„Under A Common Shade“ ist einer meiner persönlichen Favoriten auf dem Album. Hier kommt vieles von dem zusammen, was “Night Oracles and Falling Stars” als Gesamtwerk ausmacht. Der Mut zu unkonventionellem Songwriting; dunkle, tief atmosphärische Stimmungen; die sprühende Energie einer Powerstimme; aber eben auch die Nutzbarmachung von Ruhe und Stille als strahlendem Element. Gerade der Chorus ist unheimlich catchy und geht schnell ins Ohr. Und hier lohnt es sich auch darauf hinzuweisen, dass die Lyrics zu dieser gesamten CD einfach beeindruckend gut geschrieben sind und eine merkliche Synergie mit dem musikalischen Material eingehen. Stimmungen und Wendungen passen im packenden Spannungsbogen hervorragend zusammen und ergänzen sich zu einem fulminanten Ganzen. Die Ausdrucksstärke von Aurora Ferrers Stimme bindet das vielseitige Songwriting einfach immer wieder zu einem plausiblen Konstrukt zusammen. Stilistisch bewegt sich die Nummer im Feld zwischen Progressive Pop und Alternative Rock, dürfte also – gerade bei dieser Qualität – ein breites Publikum finden. „Under A Common Shade“, der achte Track des Albums, ist meine dritte unbedingte Anhörempfehlung.

 

Mit einem ganz ungewöhnlichen Knaller namens „Light Out“ endet “Night Oracles and Falling Stars”. Fast drei Minuten präsentiert sich ein abgefahrenes Sample – zwei Charaktere sprechen miteinander – in dessen Hintergrund sich ganz langsam der musikalische Kontext aufbaut. Wenn die Stimme dann in ihrer klaren Bestimmtheit einsetzt, findet man sich plötzlich in einem völlig neuen Song wieder. Der Track explodiert regelrecht in einem befreienden Chorus, in dem die Vocals noch einmal ihre ganze überwältigende Klasse zeigen. Und so ist es fast verwunderlich und höchst unkonventionell, dass der Spannungsbogen etwa ab der Mitte des Stücks doch wieder in das ruhige, schräge Anfangsmotiv schwenkt. Die Künstlerin erlaubt hier das Schließen des Kreises. „Lights Out“ heißt ja die Nummer und das Songende fügt sich in dieses Thema. Wenn der letzte Ton verklungen ist, hat man seinen Frieden mit der Entwicklung gemacht. Schade ist an diesem Punkt nur, dass die CD vorbei ist. Aber gottseidank hat mein Player einen Repeat-Button …

 

Was kann man ganz insgesamt zu “Night Oracles and Falling Stars” sagen? Musikalische Parallelen der CD insgesamt sehe ich streckenweise zur kalifornischen Band Cromwell mit Progressive-Motiven, die stilistisch hier und da Berührungspunkte haben mit dem dunkel-atmosphärischen Material, mit dem LAPIS EXILIS seine Fangemeinde hier bei MyOwnMusic erfreut. Zuweilen hört man Einflüsse von den guten alten Depeche Mode kombiniert mit der Kraft und dem Ausdruck einer weiblichen Stimme vergleichbar einer Alanis Morrissette. Dazu die bunte Anarchie und die schräge Abgefahrenheit, die an Björk erinnert und immer wieder auch mainstreamigere Teile, die die Pop-Ikone Madonna anklingen lassen. Insgesamt werden all diese Einflüsse in ein eigenständiges und charismatisches Ganzes verwoben, mal Chaos und mal Ruhe, voller Steigerungen und Brüche, voller tragender Flächen, aber auch voller Momente, in denen die packende Stimme in all ihrer Verletzlichkeit plötzlich ganz alleine zu stehen scheint. Vor allem überrascht das Werk den Hörer immer wieder. Wer intelligent arrangierten, aber trotzdem eingängigen Pop - mal treibend und mal progressiv, mal rockig und mal schräg - mag, kommt an Aurora Ferrers “Night Oracles and Falling Stars” nicht vorbei. Ich spreche eine enthusiastische Kaufempfehlung aus.

 

 



Kommentare

Karl der Große
Karl der Große Oktober 2019
Zu meiner freudigen Überraschung hat Aurora in meine Musik reingehört und ich dann natürlich auch in die Ihrige.
Sie ist wirklich ein Unikum und hat die große Aufmerksamkeit sich voll verdient.
Bin ja gespannt, was da in Mindmovies Studio gezaubert wird.
LG
Kalle

Aurora Ferrer
Aurora Ferrer Oktober 2019
Vielen herzlichen Dank!

Jomisee
Jomisee Oktober 2019
Eine tolle und sehr ausführliche Album Rezension über Aurora Ferrer's neues Album. Auch für mich ist Sie eine außergewöhnliche Musikerin und ihr Album habe ich schon gekauft und kann es nur weiterempfehlen. Danke an Stampeed für seine ausfühliche Besprechung über dieses Album. Auf das Podcast mit Aurora und Achim freue ich mich sehr.

Mindmovie
Mindmovie Oktober 2019
Klasse Rezension. Am kommenden Freitag ist Aurora Ferrer bei mir im Studio, ich freue mich auf den Podcast mit Ihr der wahrscheinlich nächsten Sonntag online gehen wird.


von  stampeed am 01.10.2019
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