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Die andere Seite im Studio (Teil 1)

Von Nicolay Ketterer
Die andere Seite im Studio (Teil 1)

Urban Elsässer, Diplom-Psychologe und Musiker, lehrt an der Popakademie in Mannheim das Fach Persönlichkeitsentwicklung. Wichtig für angehende Musiker und Produzenten und eigentlich ein völlig und zu Unrecht vernachlässigtes Thema abseits der Leidenschaft für Equipment.


Jede Aufnahme ist am Ende nur so gut wie die Inspiration, welche die Quelle liefern kann. Zeit, einen Blick auf die andere Seite des Studios zu werfen, jenseits des Glases im Regieraum: Wie gehe ich mit einer Band, mit Musikern in der ungewohnten Studio-Situation um, damit sie sich wohlfühlen? Warum geht die Stimmung einer Session unvermutet in den Keller oder ziehen sich manche Produktionen endlos hin? Wir haben Urban Elsässer befragt.


? Ein Produzent arbeitet im Studio mit einer Band. Woraus können Probleme mit den Musikern entstehen?

! Urban Elsässer: Das Spannungsfeld aus Nähe und Distanz ist ein großes Thema, oder Macht und Unterwerfung. Das sind zentrale menschliche Themen in der Psychologie, die sowohl in einer Produktion als auch innerhalb einer Band zu Konflikten führen. Wer hat die Macht, wer unterwirft sich in der Band, wer macht die Band aus, wer hat das Sagen?

? Wer seine eigene Rolle und seine Fähigkeiten vorher erkennt, kann dann zumindest die Situation einschätzen, weiß bei einer Produktion vielleicht vorher: Das tut mir nicht gut, den Kompromiss kann ich nicht tragen?

! Urban Elsässer: Genau. Das Kapital ist ja bei den Leuten die Zeit, ich kenne das selbst. Ich habe so viele Bands auseinanderfallen sehen aufgrund von falscher Kommunikation. Der eine sagt nichts über seine wirklichen Bedürfnisse und irgendwann knallt es. Oder in einer Produktion, vor einer Tour – auf einmal ist der Bassist weg.

? Musiker einer Band gehen oft unausgesprochen davon aus, dass alle am gleichen Strang ziehen. Dabei können sich die Motivationen der einzelnen Musiker stark unterscheiden, von künstlerischer Selbstverwirklichung oder der Idee, von Musik leben zu können, dem Gemeinschaftserlebnis einer Band bis zu dem Wunsch nach Ruhm oder Macht und Reichtum, wie der Chef des Metal-Labels „Tiefdruck“, Daniel Heerdmann, kürzlich in einem Artikel formulierte. Gerade für einen Produzenten ist es wichtig, dass er seine Ziele für die Produktion mit der Band und den einzelnen Mitgliedern abgleicht. Welche Konflikte können darüber hinaus entstehen?

! Urban Elsässer: Die Unterscheidung trifft es sehr gut. Was ich auch beobachte, das sind die Konflikte, die man mit sich selbst austrägt, weil man sich seiner eigenen Ziele nicht bewusst ist. Ein erlebtes Beispiel, das ich meinen Studenten gerne erzähle: Ein Schlagzeuger, 32 Jahre alt, hochbegabt, ist im Schuldienst Alkoholiker geworden. Der Hintergrund seiner Lebensgeschichte: Konservatives, leistungsorientiertes Elternhaus mit Klassik als Ideal, hohes Anspruchsdenken. In der Pubertät rebelliert er gegen die Eltern. Er wird Jazz-Schlagzeuger, der Vater flippt aus. Der Junge steigt innerhalb von drei Jahren in der Szene an die Spitze, trainiert, gewinnt Förderpreise. Mit 24 bekommt er eine Muskelentzündung, kann sich nicht mehr richtig bewegen, Quereinstieg als Lehrer im Gymnasium, wird mit 29 Alkoholiker.



? Was war hier passiert?

! Urban Elsässer: Von außen rebelliert er pubertär, macht was ganz anderes. Aber wenn man genau hinschaut, sind da die gleichen Leistungsideale: Der hat zwölf Stunden am Tag geübt. Genau mit derselben Haltung hätte er eigentlich auch Banker werden können. Daraus ergeben sich unheimlich konservative Strukturen, auch wenn es von außen so progressiv wirkt. Das eröffnet auch Fragen für Pop- und Rock-Musiker. Was hat man für eine Struktur? Zum Beispiel: Unsicherheiten aushalten zu müssen, so einen Druck im Studio aushalten zu können. Das kann man nicht von außen festmachen. Man kann Punk-Schlagzeuger sein, aber wie man das umsetzt und damit umgeht, das kann genauso konservativ sein, wie das der Vater immer von einem wollte. Das Selbstbild passt in dem Fall nicht. Da komme dann bei vielen die Frage: „Was will ich? Und woher kommt das?“ Und erlaubt man sich überhaupt, das durchzudenken? Wenn man sich fragt, „was will ich?“ und man konsequent ist, dann wird das teilweise ganz schön unangenehm. Viele Schemata sind sehr früh festgelegt. Wenn man an seine Ängste kommt, sind das oftmals ganz grundlegende, kindliche Ängste.

? Wie kann sich das in einer Studiosituation auswirken?

! Urban Elsässer: Ein reales Beispiel: Die Bassistin einer Band bringt einen Vorschlag im Studio ein, der Produzent übersieht das. Am Abend ruft sie den Keyboarder an, zieht über den Produzenten her, entwertet ihn total. Woher kommt die überzogene Reaktion? Der Hintergrund: Die Mutter verschwand regelmäßig in der Kindheit einmal im Jahr für ein paar Tage. Das Kind erlebte Unsicherheit, einen Beziehungsabbruch, es wird übersehen. Was heißt das im Studio? Sie wird übersehen. Sie reagiert wie ein Kind, schafft sich Bindung, indem sie den Keyboarder anruft, durch Entwerten findet die Umkehrung von Macht und Unterwerfung statt. Sie wollte Kontrolle bekommen. Dann läuft einfach ein Programm ab. Die Produktion war gegessen.

? Wie kann ich als Produzent damit umgehen, solche Dynamiken rechtzeitig erkennen?

! Urban Elsässer: Der Produzent ist ja kein Psychotherapeut. Die Schnittmenge, bei der man noch nicht als Therapeut einer Band auftritt, ist die Kommunikation. Wie erkenne ich die Kommunikation? Wie spreche ich das an? Wie hole ich die aus ihrem Kind-Schema wieder raus? Das passiert über gute Kommunikation. Angehenden Produzenten gebe ich die Transaktionsanalyse, eine Theorie zur Persönlichkeitsstruktur von Eric Berne, als praktisches und schnell anwendbares Mittel mit.

? Wie sieht die Transaktionsanalyse aus?

! Urban Elsässer: Was man im Hinterkopf behalten sollte: Das sind keine Wahrheiten, sondern Modelle, die helfen, die psychischen Grundstrukturen des Menschen zu verstehen. Die Transaktionsanalyse geht davon aus, dass die Persönlichkeit aus sechs Teilen besteht. Jeden Teil kann man einer Entwicklungszeit zuordnen. Da gibt es das Kindheits-Ich mit drei Qualitäten: Das angepasste Kind, das rebel-lische und das neugierige Kind. Das Erwachsenen-Ich, das für die Realität steht, für das Erkennen des Äußeren und des Inneren, der eigenen Bedürfnisse, Emotionen, das Informative. Schließlich das Eltern-Ich mit zwei Zuständen: Zum einen das kritische Eltern-Ich, fordernd und an Regeln orientiert, zum anderen das unterstützende Eltern-Ich, das fürsorglich ist.

? Wenn ein Produzent im Studio arbeitet – welche Zustände bedient er dort, und wie wirkt sich das auf die Musiker auf der anderen Seite des „Glases“ aus?

! Urban Elsässer: Im Ideal müsste ein Produzent alle sechs Zustände bedienen. Als Beispiel: Bei der Aufnahme sagt er: „Der dritte Take.“ Er kann dabei den Musiker ansehen, oder auf die Uhr sehen. Da findet eine sogenannte verdeckte Transaktion statt. Der andere muss das dekodieren. Der Musiker kodiert das immer anhand seines Selbstverständnisses. Wenn er einen geringen Selbstwert hat, dann ist er gedanklich raus. Der Musiker geht normalerweise nicht auf die Erwachsenen-Ich-Ebene, erklärt nicht, dass ihn die Botschaft irritiert, fragt nicht nach, was gerade das Bedürfnis des Produzenten ist.

? Wie muss ich dann als Produzent mein Handeln und meine Kommunikation dann ausrichten, um Missverständnisse zu minimieren?

! Urban Elsässer: Das bedeutet für den Produzenten, zu erkennen, was der Musiker ihm anbietet. Die Transaktionsanalyse besagt, dass jede Transaktion auch ein Beziehungsangebot ist. Was ich versuche, den Leuten klarzumachen: Während des Produktions-Prozesses entstehen verschiedene Bedürfnisse, und von der Band und von den einzelnen Musikern kommen ganz bestimmte Beziehungsangebote. Als Produzent sitzt man hinter einer Glasscheibe, erhöht, sieht alles, hört alles. Man ist ein Übertragungsobjekt, wird mitunter als väterliche Instanz wahrgenommen, so wie Schule, Lehrer oder der Bandchef auch. Da stellt sich die Frage: Was wird hier als Übertragungsobjekt in einen „reingeparkt“, und wie geht man damit um? Der Produzent muss sich klarmachen, inwieweit er die Beziehungsangebote erfüllen kann – auch im Bezug auf seine Ausgabe, auf das Endprodukt – oder eben auch nicht.

? Welche Bedürfnisse können denn grundsätzlich zwischen Musikern und Produzenten bei einer Produktion entstehen?

! Urban Elsässer: Wir gehen von vier Grundbedürfnissen aus bei einer Produktion: Orientierung beziehungsweise Kontrolle, Lustgewinn beziehungsweise Unlustvermeidung, Bindung, und Selbstwerterhöhung. Das sind Standard-Bedürfnisse, die Verhalten und Motivation steuern. Ich habe das bei einer Produktion als Musiker erlebt: Der Produzent hat sich viel Zeit gelassen mit unserem Kopfhörersound. Das fand ich toll, ich hatte noch nie einen so guten Kopfhörersound. Das ist dann Orientierung und Kontrolle. Man fühlt sich wohl, man kommt an. Nach dem ersten Tag ist die Sängerin plötzlich raus aus dem Film. Was war los? Sie meinte, sie weiß nicht, was der Produzent über die Musik denkt, fragte sich, warum er nicht mit essen geht. Für ihn war ganz klar, er brauchte einfach für sich eine Pause, nach zehn Stunden Arbeit. Da kommt auf einmal ein ganz anderes Bedürfnis der Musiker im Prozess auf, nach Bindung, und das verlangt nach anderer Kommunikation. Da muss man nicht zusammen essen gehen, aber da wäre Feedback sinnvoll. Dem Produzenten sollte klar werden, dass sich die Bedürfnisse ändern – verbunden mit der Frage, ob er das bedienen kann, will, und wie er es kommuniziert. Die Sängerin hat sich total wohlgefühlt am ersten Tag, gerade weil wir früher im Studio einen ganz schlechten Kopfhörersound hatten. Aber es ändern sich die Bedürfnisse im Laufe einer Produktion. Auch die Frage nach dem Lust-Faktor – ist der überhaupt da? Eine Studio-Situation immer aus mehreren Gründen schwierig: Man lernt als Musiker immer implizit mit. Wenn man zuhause oder im Proberaum übt und entspannt ist, im Studio allerdings plötzlich einen anderen Sound hat, weil man mit Kopfhörern hört und dazu spielen muss, dann ist das generell eine große Schwierigkeit.

? Manche Musiker schätzen ihre Leistung im Studio plötzlich ganz anders ein, als sie sie im Probenraum wahrnehmen. Das eigene Spiel wird bei der Aufnahme plötzlich durch ein Mikroskop betrachtet. Wie kann die Studiosituation den Musiker in seiner Leistungsfähigkeit und in seinem Verhalten beeinflussen, was kann sie auslösen?

! Urban Elsässer: Ich mache bei meinen Studenten ein ABC-Modell. Was ist die Differenz in einer Studiosituation für Leute unterschiedlicher Ausprägungen: Löst es für sie Stress aus, gibt es Beschämungen, also phobische Reaktionen – „Ich werde aufgenommen, meine Fehler werden deutlich, mit Metronom.“ Ist es, wenn man die Sängerin mit Tonhöhenkorrektur  wie „Melodyne“ oder „Auto-Tune“ bearbeitet, für sie eine narzisstische Kränkung? Ich kenne Sängerinnen, die flippen danach aus, wenn man sie zurechtrückt. Als Produzent sollte man immer ein Augenmerk darauf haben, dass der Performer sich mit dem Ergebnis identifizieren kann. Zunächst bekommen die Sänger ihr Defizit mit, und dann hören sie sich korrigiert und haben eventuell ein Problem, sich mit dem Produkt zu identifizieren. Wie bewerten sie das, was ist deren persönliche Sichtweise, was für ein Selbstwertkonzept läuft? Dabei stellt sich generell die Frage, bei welchen Produktionen editiert und korrigiert werden sollte. Wir leben in einer hochproduzierten Zeit, und das Thema Timing bekommt man sofort als defizitär mit. Ein Schlagzeuger erzählte mir mal, dass er anhand der Übergänge sofort heraushören kann, ob der Drummer mit einem Click „festgezurrt“ war, oder ob er den Übergang frei gespielt hat. Was richtig und falsch ist, lässt sich schwer sagen. Aber wie viele handwerkliche Produktionen gibt es heute, die inhaltlich nichts transportieren? Andererseits hat man Leute, die nicht richtig singen können, und trotzdem etwas transportieren. Das finde ich an der Musik so spannend, dass alles irgendwo eine Berechtigung hat. Dabei muss sich der Produzent zwischen den eigenen Bedürfnis-sen, denen des Künstlers und denen des Produkts bewegen, in einer Art Dreieck. Wo liegt die Schnittmenge? Da muss ich als Produzent schauen, wo ich mit der Band hin will: Ich will ein Potenzial aus der Band holen, wo stehen die jetzt eigentlich? Ich sehe eine Gruppe als einen eigenen Organismus an. Was hat die Band für einen Mythos – also, wie reden die über sich selbst? Wie reden sie im Studio mit-einander? Bekomme ich als Produzent das mit? Wie sind die Konflikte untereinander?

? Wie kann ich als Produzent – oder auch als Mitmusiker – eine Band vor einer Produktion einschätzen lernen?

! Urban Elsässer: Als Produzent würde ich mir zuerst den Mythos, das Selbstverständnis der Band ansehen. Wie denken die über sich, und was ergeben sich daraus vielleicht für Konfliktfelder in der gemeinsamen Arbeit? Wie kann man die motivieren, ein Ziel- und Visionsbild entwickeln? Eine Gruppe kann man wie eine kleinkindliche Entwicklung sehen, die sind erst ganz lieb und dann kommt die Trotzphase, der eine will das, der andere das. Da hat man alle Themen der Entwicklung mit drin: Sind die jetzt in der Pubertät, ganz am Anfang, oder ist die Band schon erwachsen?

? Es gibt auch Musiker-Persönlichkeiten, bei denen man als Produzent oder Mit-Musiker das Gefühl hat, sie bräuchten nur die richtige Moti-vation, den passenden „Tritt in den Hintern“ – da wäre viel Potenzial da, aber etwas steht ihnen im Weg. Ich kannte einen Musiker, der einen Bandkollegen, eine Person mit manisch-depressiven Störungen, jahrelang für ein ge-meinsames Ziel motivieren wollte und am Ende erkannte, dass die individuellen Motivationen weit auseinander lagen. Wie kann man erken-nen, ob die Mühen Sinn ergeben oder verge-bens sind?



! Urban Elsässer: Dabei arbeite ich mit Störungsbildern. Da sprechen wir beispielsweise über Narzissmus, wobei es mir nicht darum geht, zu definieren, was gut oder schlecht, richtig oder falsch ist. Wenn man Musik macht, braucht man solche Elemente teilweise auch. Die Frage ist für mich immer: Liegt es in der eigenen Entscheidung, kann man das steuern? Liegt das im Kontext? Hendrix war zum Beispiel privat ein sehr zurückhaltender, schüchterner Typ und auf der Bühne das Gegenteil. Der hatte einen Kontext-Schalter, feierte das dann auf der Bühne ab. Kann man damit umgehen? Das sind dann seelische Energien. Es geht darum, ein Gefühl zu bekommen für Dynamiken: Um es einfach zu sagen: Einen Depressiven kann man nicht heilen, nicht im privaten Kontakt. Das muss derjenige selbst wollen. Die Motivation, die Hilfe, die man ihm entgegenbringt, ist eine Hilfskonstruktion. Die Überzeugung eines Depressiven: Die Welt ist nicht genug. Wenn man ihm eine Stunde Aufmerksamkeit gibt, will er das nächste Mal zwei Stunden. Man unterstützt das depressive Muster, füttert das an. Da hilft nur Grenzziehung. Man muss erkennen, was der eigene Gewinn ist, warum man gerade mit so jemandem arbeiten will und warum man so lange an einem festhält. Die Person ist immer ein Spiegel, darin spiegelt man sich. Für die Arbeit mit Narzissten gilt das gleiche: Narzissmus erkennt man an der Entwertung und Idealisierung. Ein Narzisst idealisiert seine Mit-Musiker zunächst, man ist dann zum Beispiel der beste Produzent oder Keyboarder. Er hat einen Instinkt, weiß, wie man jemanden narzisstisch ‚hochfährt‘. Wenn jemand eine Kränkung, ein Defizit hat, unterstützt er. Aber wehe, man arbeitet mal mit jemand anderem, oder hat keine Zeit: Dann geht die Entwertung los, die genau sein Innenleben spiegelt – Minderwertigkeit und absoluter Größenwahn. Das tragische am Narzissten: Er hat nie eine narzisstische Kränkung oder Kritik erlebt. Zu einer gesunden Entwicklung gehört das dazu, das im Elternhaus zu erleben und zu verarbeiten. Den Personen fehlt später eine innere Distanzierung, ein eigener Beobachter. Der sollte auch gutmeinend sein, nicht nur kritisch.

? Stichwort Distanzierung: Gerade eine Band steckt naturgemäß in einer Innensicht. Produzent Chuck Ainlay hat im Interview (siehe Professional Audio 10/2012) erwähnt, dass es zwei Paar Schuhe sind, was eine Band von sich denkt, das sie macht, und was wirklich entsteht. Wie kann ich – als Band oder Produzent – meinen Blick mehr distanzieren, ob die eigenen Ziele stimmig sind?

! Urban Elsässer: Da ist das Selbstbild der Band, Fremdbild der Band, Selbst- und Fremd-bild des Produzenten, das trifft alles aufeinan-der, ohne dass man vielleicht die Unterschiede bemerkt. Wir versuchen Bandcoaching an der Popakademie mal anders zu formulieren, gehen über Bilder. An der Popakademie wollen wir in dem Kurs die unbewussten Prozesse ein bisschen mehr rausholen. „Mach mal zehn Sekunden ein akustisches Bild, was Du bist, oder über Deine Band. Oder bring ein Bild, ein Foto mit.“ Da geht es um Projektive, darum, das zu projizieren. Wir wollen die unbewussten Prozesse klarer machen. Dann kann man vielleicht auch verstehen, dass die Gruppengestalt gar nicht passend für einen ist, und man bekommt das vorher gar nicht mit, weil man es nicht mitbekommen will!

? Hast Du das selbst erlebt?

! Urban Elsässer: Ich habe mal in einer Band gespielt, die als Ausgangspunkt ursprünglich eigenes Material durch Covern finanzieren wollte. Ich habe den Übergang gar nicht mitbekommen, dass die Band eigentlich nur noch Covern wollte. Aber ich hatte das unbewusst längst kapiert: Mir war unwohl, ich hatte Magenprobleme, Dinge nicht angesprochen, Konflikte nicht ausgetragen. Es hat geknallt von heute auf morgen. Das hätte man durch so ein Bild abgleichen können, wenn klar geworden wäre, was die einzelnen erwarten. Die ursprüngliche Idee war total weg. Aber auch generell, wenn man nur eigenes Material macht: Was möchte man damit? Welches Bild hängt damit zusammen? In der Gestaltpsychologie gibt es sehr schöne An-sätze, was in einem Bild drinsteckt, was es aus-schließt.

? Wenn das Problem nicht in den äußeren Zielsetzungen liegt: Es gibt Produktionen, die sich ewig hinziehen. Woran liegt es, dass manche Produzenten und Musiker sich mit Entscheidungen schwer tun?

! Urban Elsässer: Aus therapeutischer Sicht würde man von zwei Anteilen in der Persönlichkeit ausgehen: Der eine will, der andere will nicht. Und da geht es darum: Was sichern die beiden Teile? Welche Prioritätsebenen finden statt? Da muss eine Prioritätshierarchie stattfinden, weil sich die beiden Teile in dem Moment handlungsunfähig machen. Treibt einer ein, und bremst ein anderer, weil er einen beschützen möchte? Das ist innere Teamarbeit. Was brauchen die, damit die Teile in eine Richtung steuern? Zum Beispiel bei jemandem, der sich keine Ruhepausen gönnt, gibt es vielleicht einen Teil, der ihn immer sabotiert und sich so die Ruhepausen einholt. Da muss man lernen, dass man diesen Teil so integriert und mit ein-bezieht, dass die Ruhepausen garantiert sind.

? Spielt auch eine Angst vor dem Scheitern eine Rolle?

! Urban Elsässer: Genau. Ein Beispiel: Leistungsverweigerung in der Schule. Da gibt man vielleicht nicht alles, nimmt die Anstrengung heraus, damit man die Frage nach der eigenen Fähigkeit – und damit dem Selbstwert – schüt-zen kann. Man hat dann später eine Rechtfertigung fürs Scheitern, eine Vermeidungsstrategie.



Im zweiten Teil werfen wir einen Blick auf die Studio-Praxis: Tontechniker und Produzenten erzählen, wie sie mit schwierigen Situationen im Studio umgehen.

Professional audio

Quelle: Professional audio 04/2013

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(Fotos: Gudrun Golde-Ortner)



Kommentare

Curare
Curare Juli 2013
Interessant !

Darüber hätten wir uns früher auch schon öfter mal Gedanken machen sollen ......

EWIAN
EWIAN Juli 2013
gutes und interessantes Interview


von  Redaktion am 10.07.2013
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