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Erlebnisbericht

Erlebnisbericht

Dienstag, 26.10.Marburg, Waggonhalle

http://www.kantemusik.de


Okay, als Nicht-Slacker, aber seit dem Album“Zweilicht“ (insbesondere "Ituri") bekennender Kante-Liebhaber, nutzte ich den 26.10.2004, um mir mit einer Freundin das Konzert der Band in der Marburger Waggonhalle zu Gemüte zu führen.

Quasi als ideologisch unbedarfter, nicht depressiver Zaungast wollte ich wissen, ob die Legende von den dezent wippenden, Becksflaschen-haltenden, Trainingsbejackten Strähnenträgern tatsächlich Wahrheit in sich birgt.

Um es vorweg zu nehmen: Die Legende wurde tatsächlich Wirklichkeit ;-)

Es war draußen ziemlich kalt und so nutzten wir die wärmenden abgase des pinkfarbenen Tourbusses, um unsere mitgebrachten, standesgemäßen 0,33er Becksflaschen, noch vor Betreten der Waggonhalle zu leeren und den Vorglühprozess abzuschließen.

In der Halle angelangt, war die Überraschung allerdings umso größer, als es dort tatsächlich nur handelsübliches, sprödes- regionales "Licher Pils" gab.

Nun gut, borniertes Vorurteil Nummer 1 stimmt schon mal nicht, dachte ich mir und auch "Licher" tut seinen Dienst ;-)

Noch lief keine Musik in der angenehm gefüllten Halle, aber die Atmosphäre war entspannt und erwartungsfroh.
Schnell kam man in Kontakt mit anderen Besuchern und ich fühlte mich durchaus wohl, obwohl ich einer der wenigen in einem hellen T-shirt war (auf dem stand: “Ich bin kein Popstar, aber ich kann dafür Musik machen“, übrigens hier von MOM).

Ich nutzte die Zeit um mir die Leute ein wenig näher anzuschauen…ich glaube, ich habe selten auf einem Haufen so viele schwarze Hornbrillen gesehen, die von einer ins Gesicht fallenden Strähne überdeckt wurde. Durchaus schick, aber irgendwie komisch.
Von diesem Szenecode wusste ich bisher noch nichts .Oder war es nur einer Zufall?

Mich überraschte, dass so ziemlich alle Frauen, egal wie kurz ihre Haare auch waren es sich anscheinend nicht nehmen ließen sich einen kurzen Zopf mittels eines Gummis zu machen("Rattenschwänzchen" sagte meine Freundin). Auch Zufall? Und wenn nein, warum?
Was soll daran toll sein? Ist DAS alternative?
Okay, ich schweife ab.

Die Art allerdings die Flasche zu halten erwies sich als exakt genau so, wie ich mir das immer vorgestellt hatte. Den rechten Arm etwas unter 90 Grad angewinkelt und die Flasche fest in der Hand.
Keine Ahnung warum man die Flasche in keiner anderer Position sah, bietet doch der Körper durchaus Möglichkeiten den arm etwas zu senken und die Becks-, bzw. Licherflasche auch bequemer festzuhalten.
Aber vielleicht wollte ich auch auf Teufel komm raus, Vorurteile bestätigt sehen. Ich denke, wie so oft ist es die goldene Mitte, die der Wahrheit am nächsten kommt.


Plötzlich wurde das Licht dunkler und 3 Gestalten betraten die Bühne. Ein unglaublich verbissen wirkendes Mädchen an der Gitarre, ein perfekt gesträhnter schwarzhaariger Sänger und ein durchaus symphatischer Schlagzeuger.

Hm, sind das jetzt Kante?
Ich musste mir eingestehen, es einfach nicht zu wissen. Ich mochte die Musik und wusste dass der Sänger Peter früher bei Blumfeld Bass gespielt hatte.

Aber als die 3 loslegten, kapierte ich, dass es sich um die Vorgruppe handelte, weil mindestens 20 Instrumente auf der Bühne herumstanden, die noch nicht genutzt wurden…
Die Vorband legte gleich los. Unverkennbar Deutsch - Indiekram von den Texten her, aber von der Musik eine gefällige Mischung aus Surrogat, The Hives mit einer Prise White Stripes mit deutschem Text (Achtung: Meinung extremst subjektiv und nicht szenekennend).
Von ca. 6 Songs die sie spielten, waren 4 eigentlich richtig Klasse und in mir regte sich das Mitwipp-Gen.
Aber komischerweise anscheinend nur in mir, obwohl andere Leute ebenso positiv überrascht schienen wie ich.

Nun gut, vielleicht sparen sie sich ihre Energie für die Hauptkapelle auf, dachte ich mir und dezimierte mein Mitwippen auf stylisches Kopfnicken, mit stets bemühter, richtiger Flaschenhaltung;-)
Mit verdientem Applaus beendeten sie nach gut 25 min. ihr Konzert und hinterließen auf jeden Fall ein gutes atmosphärisches Nest, in dem Kante nun anknüpfen sollten.

Nur der verbissene Gesichtsausdruck der Gitarristin war wirklich nervig. Aber das ist jetzt gemein, wenn ich Qualität daran festmachen soll. Vielleicht hat sie mich ja auch gesehen und hat nur so geschaut, weil ihr MEIN Gesicht nicht passte.


Also, Personenwechsel auf der Bühne und jetzt ging es los. Sänger, Gitarrist, Bassist, 2 Bläser, ein Mann am Rhodes und Synthiepark und ein Drummer traten auf den Plan und legten los.
Der Sound war herrlich, die breiten Gitarrensphären, die ich an Kante so liebe, verwoben mit Synthiescapes und Peters stimme erzeugten ein absolut wärmendes Wohlgefühl und ich war froh, hier zu sein.

Nach dem ersten Lied und einer kurzen Begrüßung ging es dann mit „Im inneren der Stadt“ vom neuen Album
Zombi“ weiter.
Die begleitenden Bläser erfüllten ihren dienst sehr gut, ohne aufdringlich zu wirken. Klasse..

Weiter gings mit dem Titeltrack „Zombi“, dann kam “Im ersten Licht“ vom „Zweilicht“ Album. Auch sehr gut.

Beschwingt durch Musik und Licher Pils befand ich mich in einer durchaus bewegungsbereiten Stimmung. Jedoch: das Publikum rezipierte die Musik anscheinend nur mental.
Sich bewegende Füße konnte ich rein gar nicht ausmachen. Hm.

Mein Verständnis von einem Konzert war bisher eigentlich immer auf eine gewisse Bewegung ausgerichtet, vor allem weil Kante ja nicht Norah Jones sind, sondern durchaus tanzbare Grooves und Rhythmen in ihren Liedern haben.

Jedenfalls fiel ich bestimmt durch mein dezentes Kopf-, Arme, und ja ich geb`s zu, Füßebewegen auf und garantiert tuschelten irgendwelche anderen Besucher über den Typen , der sich da so extatisch gehen lässt im vergleich zum Rest.

Okay, ich hatte es kapiert und lies das Mitwippen und achtete wieder mehr auf meine Bierhaltung und überlegte ob meine Haare nicht auch einen Zopf vertragen könnten…Aber nein, das sind ja nur die Mädels, die so was tragen.

Mit der Ankündigung Peters: „Jetzt wird’s etwas depressiver“, leitete die Band nach 5 Stücken dann zu „Ich kann die Hand vor meinen Augen nicht mehr sehen“.

Okay, da ist auch nichts zum Tanzen gedacht und ich ließ mich von dem ätherischen Sound verzaubern und wurde selbst etwas melancholisch. Danach eine Ode an Knarf Relllöm, die Peter mit Wortwitz einleitete, obwohl während des ganzen Konzertes sein meistgebrauchtes Wort „ähh“ war.
Kurz darauf: Nanu, alle Musiker verlassen die Bühne???

Ahhh, kurzes dramaturgisches interrupt, um den zweiten, eher instrumentenlastigen Teil des Abends einzuleiten. Der Gitarrist Florian schnappte sich ein wundersam quäkendes Instrument und „best of both worlds“ wurde angestimmt. Ein wahrhaft wunderbares, sensibles Zusammenspiel der einzelnen Instrumente bereitete den Rahmen in dem sich das in der Mehrheit doch recht berufsmelancholisch wirkende Publikum in Selbstmitleid suhlen konnte und sich gemeinsam einsam unter seines gleichen fühlen konnte.

Ups, ich schweife schon wieder ab.

Mir hat nur die Musik wunderbar gefallen. Nach ein Paar Stücken die ich noch nicht kannte, zogen sie mit etwas lebhafteren Songs die Energie wieder ein wenig an und plötzlich nicht erwartete Bewegung in anderen Menschen erfreute mich, so dass auch ich meine Beine wieder aus der für angebracht gehaltenen Starre befreite.

Nach nunmehr 7 Licher Pils und einem lang anhaltendem Applaus, als die Musiker ihr Konzert beendeten, sah ich mich genötigt, auf billige Merchandisingmechanismen hereinzufallen und bin nun Besitzer eines „Kante.zombi“ T-Shirts, was allerdings sehr gut sitzt, nur 14 Euro kostete und mir am nächsten Tag in der Uni gewisse Understatement-Pluspunkte einbrachte.

Alles in allem war es ein großartiges Konzert voll musikalischer Abwechslung und ein mich teilweise sehr erheiterndes Lehrstück in Sachen Menschenforschung….
Ein Originalzitat eines Konzertbesuchers, der sich darüber echauffierte, dass ich mich während einer extrem ruhigen Instrumentalpassage mit meiner Freundin unterhielt: „Ey, ihr seid gefälligst mal ruhig. ich bin Musiker und bin hier um anderen Musikern zuzuhören.“

Ich merkte, das ich meine Vorstellungen, wie ein Konzert abzulaufen hat, doch ein wenig revidieren muss.

Kante`s Musik wird zwar stehend, aber ansonsten nur schweigend gewürdigt.

Fast wie bei einem Klassikkonzert mit Flaschenbier…
Vielleicht bin ich aber auch nur noch nicht genügend melancholisch.
Ich werde daran arbeiten.

Was ich aber auch gelernt habe: Es gibt sie tatsächlich: , Bierhaltende, Trainingsbejackte, Strähnentragende, Weltschmerzinnehabende Slacker-Klone. Mindestens 20 waren dort wie aus dem Katalog.
Aber egal. Szenezugehörigkeiten schaffen ein gutes Gefühl der Geborgenheit bei vielen und wenn das der Fall ist, kann da kein Mensch was dagegen sagen.
Nett waren die Leute dort aber alle Male und ich würde Kante gerne wieder sehen. Ich benehme mich dann auch richtig und lass mir bis dahin die Haare wachsen.

Mich über das weit verbreitete Vorurteil auszulassen, solche Musik wäre pseudointellektuelles Großtue-Gelaber von Leuten, die mal ne Seite Wittgenstein gelesen haben und jetzt meinen, sie müssten jedem ihre akademische Bildung präsentieren habe ich keine Lust.
Eben weil ich das überhaupt nicht so sehe…die Texte von Kante sind sehr poetisch und intelligent, aber für meine Empfinden keinesfalls pseudo. Es lebe die Nu Retro-School Hamburgs.

Für alle, denen die Musik von den Jungs noch vollkommen unbekannt ist, empfehle ich, auf die Webseite der Jungs zu gehen:

http://www.kantemusik.de

Dort kann man sich, sofern man den Flashplayer installiert hat unter dem Punkt "Musik" sämtliche Alben komplett anhören.
Für Einsteiger empfehle ich den Track
"Die Summe der einzelnen Teile vom Album "Zweilicht", oder
"Ituri", ebenfalls vom "Zweilicht" Album

(c)11/2004 by Thorsten Paul



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von  Redaktion am 02.11.2004
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