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Spot(t)ify: Ausbeuter und Hitmaschinerie

Wie die größte Streamingplattform Künstler an den Rand drängt.
Spot(t)ify: Ausbeuter und Hitmaschinerie

Spotify ist heute die größte Musikstreamingplattform der Welt. Über 600 Millionen Menschen nutzen den Dienst, Millionen davon täglich. Doch was auf den ersten Blick wie ein Segen für Musiker wirkt – weltweite Sichtbarkeit, direkte Hörerbindung, keine Zwischenhändler – entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ein System, das gezielt auf Massentauglichkeit setzt, künstlerische Vielfalt einschränkt und reale Künstler zunehmend durch KI und anonyme „Ghost Artists“ ersetzt.

Die Hitmaschinerie

Spotify ist längst kein passiver Musikplayer mehr. Die Plattform entscheidet aktiv mit, welche Songs ein Millionenpublikum erreichen – und welche nicht. Dafür sorgen komplexe Algorithmen, die analysieren, was besonders oft geklickt, gespeichert oder zu Ende gehört wird. Songs, die diese Kriterien erfüllen, landen in den prominent beworbenen Playlists wie „Today’s Top Hits“ oder „RapCaviar“. Wer dort auftaucht, kann über Nacht berühmt werden.

Adele, Billie Eilish oder Drake profitieren von dieser Mechanik. Ihre Namen sind längst Marken, ihre Songs werden von Spotify ganz oben einsortiert, weil sie bewiesenermaßen hohe Streamingzahlen bringen. Diese Dominanz ist kein Zufall, sondern wirtschaftlich motiviert: Spotify verdient mit jedem Stream – aber vor allem mit Nutzern, die möglichst lange auf der Plattform bleiben. Deshalb wird Musik bevorzugt, die möglichst gefällig, emotional flach und sofort konsumierbar ist.

Für Newcomer oder unabhängige Künstler ist das ein massives Problem. Selbst großartige Musik hat kaum eine Chance, gehört zu werden, wenn sie nicht perfekt ins Spotify-Schema passt. Emotionale Tiefe, musikalische Experimente oder politisch aufgeladene Texte? Eher unerwünscht. Willkommen in der Ära des „Spotifycore“: Musik, die auf Streaming optimiert ist – glatt, voraussagbar, austauschbar.

Streams ohne Wert

Noch dramatischer ist die finanzielle Seite. Spotify zahlt im Schnitt zwischen 0,003 und 0,005 US-Dollar pro Stream. Das bedeutet: Für 1.000 USD müssten rund 300.000 Streams generiert werden – eine utopische Zahl für die meisten unabhängigen Musiker. Und von dem wenigen Geld geht meist noch ein Teil an Labels, Vertriebe oder Verwertungsgesellschaften.

Das Hauptproblem: Spotify arbeitet mit einem sogenannten „pro-rata“-Modell. Dabei werden alle Aboeinnahmen in einen großen Topf geworfen und proportional nach Gesamtstreamingzahlen verteilt. Wer viel gehört wird – also Adele, Ed Sheeran & Co. – bekommt den Großteil dieses Kuchens. Wer wenig gehört wird, bekommt fast nichts. Ein Künstler, dessen Fans ihn regelmäßig hören, bekommt also trotzdem kaum etwas, wenn er keine Millionen-Streams vorweisen kann.

(Eigene) Ghost Artists

Als wäre das nicht genug, betreibt Spotify selbst ein Programm namens „Perfect Fit Content“. Dabei werden gezielt Songs von anonymen Produzenten eingekauft – einfache Instrumentals, LoFi-Stücke oder Klaviermusik – die unter erfundenen Künstlernamen in Playlists platziert werden. Diese „Ghost Artists“ haben keine Biografie, keine Fans, keine Konzerte – sie existieren nur auf Spotify.

Ziel dieser Praxis ist klar: Diese Musik ist billig. Spotify muss keine hohen Lizenzgebühren zahlen, hat volle Kontrolle über das Repertoire und maximiert so den eigenen Profit. In Playlists wie „Peaceful Piano“ oder „Deep Focus“ stammen teils über die Hälfte der Songs von solchen Pseudo-Künstlern.

Die eigentlichen Musiker – die mit realen Geschichten, Ambitionen und Live-Erfahrung – werden dadurch systematisch aus dem Sichtfeld verdrängt. Die Plattform macht aus Musik ein Verbrauchsprodukt ohne Seele, ohne Kontext, ohne Herkunft.

Dennoch KI

Doch Spotify geht noch weiter. Der neueste Trend: Künstlich generierte Musik. Immer mehr Titel auf der Plattform stammen von KI-Tools wie Boomy, AIVA oder Suno. Die Songs werden auf Knopfdruck erzeugt – angepasst an Genre, Stimmung oder Tempo – und landen in Playlists, oft ohne klaren Hinweis, dass sie gar nicht von Menschenhand stammen.

Spotify hat zwar erklärt, keine eigenen KI-Songs zu veröffentlichen, doch gleichzeitig ermöglicht die Plattform genau diese Veröffentlichungen durch Dritte. Die Rechnung ist einfach: KI-Musik kostet nichts, bringt Streams und verdrängt echte Künstler. Außerdem gibt es keine Diskussionen über Rechte, keine Tantiemen, keine menschlichen Bedürfnisse.

Und Timbaland mischt mit

Timbaland hat mit seinem neuen Musiklabel „Stage Zero“ die erste komplett KI-generierte Sängerin vorgestellt: „TaTa“. Der Produzent spricht von einer kulturellen Revolution – die Netzgemeinde sieht darin eher den Anfang vom Ende echter Musikkultur.

TaTa wurde mithilfe der Plattform Suno erschaffen, einem Tool zur vollautomatischen Songgenerierung. Timbaland preist sie als Zukunft der Popmusik. Doch Fans und Kolleg:innen reagieren empört. Auf Instagram häufen sich Vorwürfe, dass er lieber echte Künstler fördern sollte, statt synthetische Stimmen zu vermarkten.

Auch prominente Musiker wie Joyner Lucas und Engineer-Legende Young Guru kritisieren das Projekt scharf. Sie sehen darin eine Entwertung menschlicher Kreativität und eine gefährliche Vorbildwirkung: Wenn Produzenten auf KI setzen, droht echter Gesang überflüssig zu werden.

Zusätzlich steht Suno wegen Urheberrechtsverletzungen unter Druck. Es gibt Hinweise, dass das System mit geschütztem Material trainiert wurde – ein rechtliches Pulverfass.

Was Timbaland als Fortschritt feiert, wirkt auf viele wie ein Ausverkauf. Die Musikbranche steht damit vor einer zentralen Frage: Wollen wir echte Stimmen – oder generierte Produkte?

Was bedeutet das für uns?

Für Amateurmusiker ist Spotify ein zweischneidiges Schwert. Einerseits ist die Reichweite theoretisch riesig, andererseits ist die Realität brutal: Ohne Marketingbudget, Playlist-Platzierung oder Glück im Algorithmus bleibt selbst die beste Musik oft unsichtbar. Und die finanzielle Entlohnung liegt nahe am Nullpunkt.

Wer Musik liebt und macht, sollte wissen: Streamingplattformen wie Spotify funktionieren nicht nach künstlerischen Maßstäben, sondern nach wirtschaftlicher Effizienz. Musik wird zur Dienstleistung, zur Berieselung – nicht zum emotionalen Ausdruck.

Doch es gibt Alternativen. Plattformen wie Bandcamp ermöglichen direkten Verkauf. Dienste wie Tidal oder Deezer experimentieren mit gerechteren Bezahlmodellen. Initiativen wie „Justice at Spotify“ fordern 1 Cent pro Stream – ein fairer und realistischer Wert.

Vor allem aber braucht es Hörer, die wieder anfangen, bewusst Musik zu konsumieren. Die nicht nur „spielen lassen“, sondern sich Zeit nehmen für Alben, Künstler und Geschichten. Nur dann bleibt Musik das, was sie sein sollte: Ausdruck echter Menschen – nicht Produkt eines Algorithmus.



Kommentare

Ohrdinär
Ohrdinär September 2025
ja so ist das, müssen wir wohl durch, bis das Thema KI durch ist. Alle nichts mehr können.. Wall-E die Erde aufräumt und wir feststellen.. das manche Musik auf dem Kamm geblasen, sich besser anhört als jede zusammengeklaute Imitate der KI.

Aber es ist so.. das so etwas auch nicht aufzuhalten ist.. siehe Mobildphone, Internet, Social Media... alles hat seine Vor und Nachteile.. die ganzen Megakonzerne haben sich noch nie gerühmt irgendein nachhalitges oder soziales Konzept zu verbreiten. Spotify ist jetzt ja schon reichlich in der Kritik, evtl hilft es ja, etwas zu ändern.. aber solange die Konsumenten ihr verhalten nicht ändern, kann auch der Musiker nichts ändern oder er landet hinterm Mond.

emhead
emhead August 2025
Also ich BIN "kleiner Hobbymusiker" und veröffentliche mein Zeug überall.
Zum Geld verdienen hab ich n Job.
Ich seh Spotify als "Action-Cloud". Datensicherung zum Anfassen. Vier weitere Alben sind schon in Arbeit. Alles raus. Auch die schlechten.
Und ich freu mich über jeden einzelnen, der sich auf mein Profil verlaufen hat. Zwei Hörer in Buenos Aires, 5 in Mexiko, 1 in Melbourne usw. Das ist doch saucool.
Außerdem will ich bei Freunden damit angeben. :-)

Es ist doch ganz klar, dass die Musikindustrie immer mehr zur gnadenlosen Geldmaschine für Mainstreamler wird. Und das ist genauso wenig aufzuhalten wie der Klimawandel. Die Sache ist durch. Nutzen wir die Zeit.
GERADE die Kleinen sollten Spotify überfluten. Wie n Schuß im Glas Cola. Noch wird man nicht besoffen. Aber wer weiß? Wenn alle mitmachen? Kost ja nix.

ALΞX DRANΞ
ALΞX DRANΞ Juni 2025
Als kleiner Hobbyproducer seine eigenen Songs zu veröffentlichen (egal ob Selbstvermarktung oder via Label), macht heutzutage nur noch sehr wenig Sinn. Noch schwieriger wird es, wenn man in Genres produziert, die nicht in Richtung Mainstream gehen.

Der Markt ist seit Jahren völlig übersättigt und nun kann auch bald jedes Kind mit KI-generierten Stücken auf diesen Hypetrain aufspringen. Traurige Zeiten :(

THE EYE
THE EYE Juni 2025
Ich lasse jene Glauben, Musik produziert zu haben, für jene Streaming Hörer gilt das gleiche, wenn sie Stücke hören, die aus keiner biologischen Hand entsprungen. Das Thema polarisiert.


von  Redaktion am 25.06.2025
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