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ra-live am 28.09.22 um 15:51

Chris findet Tobi

Tobis Kühltasche hatte zwar einen 12V Anschluss für die Autosteckdose, aber er wollte nicht so gerne die Autobatterie leersaugen und womöglich dann ohne funktionierenden Anlasser dastehen. Für seine menschenscheue Art war es eine angsteinflößende Vorstellung, jemanden um Starthilfe bitten zu müssen, obwohl es hier sicher genug nette Menschen gab, die ihm gerne geholfen hättem. Jedenfalls führte dieser Charkterzug von ihm dazu, dass das Bier jetzt lauwarm war. Ok, soviel besser war die Brühe aus den Pfand-Plastikbechern jetzt auch nicht, egal, jso führte das Bier jedenfalls dazu, dass Tobi erstmal ein wenig schläfrig wurde und sich auf seiner Isomatte ausstreckte um ein kleines Powernapping einzulegen.
Wieder halbwegs wach, befüllte er seine Original-Bialetti-Camping-Alu-Espressokanne (auf das Original-Bialetti war er ein bisschen stolz) mit Wasser aus dem Kanister, den er üblicherweise auf Festivals dabei hatte und einer guten Portion Kaffee und stellte das Ganze auf den Campingkocher. Die Tasse goss er zunächst nur halbvoll, denn auf den heißen Kaffee goss er immer ein wenig kaltes Wasser drauf, so wurde er zum einen auf Trinktemperatur gebracht und trocknete auch die Nase nicht so aus, was ein klassischer Espresso bei ihm üblicherweise machte und was ein Atemgefühl bewirkte, das Tobi so gar nicht mochte.
Aber so war der Kaffee perfekt und Tobi kam wieder in Schwung und schaute sich die Liste der Bands an, die noch spielen sollten, war aber doch recht unentschlossen, wo er hinschauen wollte. Also stand er einfach auf und schlenderte zu dem Badesee bzw. Badeteich, der auf dem Gelände war und schaute den Kindern zu, die da freudig am Plantschen waren. Er begann wie früher ein paar flache Kiesel zu suchen, die er über das Wasser hüpfen lies und war gerade ganz bei sich, als eine Stimme ihn aus seinen Tagträumen riss: "Ah, hier bist du also, ich habe dich schon gesucht, magst du kein Bier?" Chris stand neben ihm und schaute seinen Kieseln zu. Sie war wirklich erstaunt, als sie bemerkte, wie eine leichte Rötung sich auf seinem Gesicht zeigte. Den Blick immer schön an ihrem Gesicht vorbei antwortete Tobi etwas mühsam: "Was, wieso denn, natürlich mag ich Bier." „Na ja", entgegnet Chris ganz ruhig, „ich wollte dir zum Dank für die Rettung eins spendieren, aber dann warst du einfach weg." Die Rötung von Tobis Kopf trat deutlicher hervor. "Ach so, Entschuldigung, das hab´ ich gar nicht mitgekriegt. Ich dachte, du wärst sauer, weil ich dich so umgehauen habe." Entgegnete er immer noch den Blick irgendwohin gerichtet, bloß nicht in die Augen seiner Gegenüber. Der ist ja schüchtern, denkt Chris, der ist ja süß, Oberarme wie ´nen Profiboxer, aber ´ner Frau nicht in die Augen gucken wollen. Von den Roadies kannte sie einige, die sich auch so verhielten, aber da dachte sie, dass diese Verunsicherung eher daher rührte, dass sie es üblicherweise mit männlichen Rockgitarristen zu tun hatten. Aber in diesem Falle war sie sich recht sicher, dass ihr Gegenüber gar keine Ahnung hatte, dass sie zum Kreis der Musiker gehörte. „Wir könnten das mit dem Bier doch jetzt nachholen", schlägt sie also vor um den Kontakt aufrecht zu halten. "Klar, gerne", erwidert Tobi, aber ich könnte auch 2 von meinen holen, die sind nicht so teuer." "Nee, lass das mal, ich bin an der Reihe und außerdem", schnipst sie jetzt kurz gegen das rote Bändchen an ihrem Arm, was bedeutet, dass sie ein Teil der Crew ist und also das Bier umsonst bekommt. Irgendwie ärgert sie sich im gleichen Moment, blöde Angeberin denkt sie sich so, als Tobi ruhig antwortet, „ach du gehörst hier zur Crew, na dann...ich warte hier." Tobi hat sich gefangen, der Kopf ist nicht mehr rot, er ist wieder bei sich. Chris meint nur: „Alles klar, aber hau nicht wieder ab, ich bin gleich zurück." Da sie doch ein bisschen unsicher ist, ob der Typ geduldig warten wird, spielt sie die Karte, unsere Band muss gleich auf die Bühne, könnt ihr mich mal vorlassen, die klappt immer und so ist sie auch für Tobi überraschend schnell mit 2 Bieren zurück am See. Am See liegen ein paar Baumstammreste, die zum Sitzen einladen und Tobi deutet wortlos auf einen und sie setzen sich nebeneinander und Chris prostet ihm zu: "Well, auf die gelungene Rettung". Tobi nickt mit schüchternem Lächeln und sie nehmen gemeinsam einen Schluck.
Dann ist es wieder still. Chris grübelt, wie sie das Gespräch ohne blöde Angeberei, denn das mag sie so gar nicht, das ist ja genau das, was sie an ihren männlichen Kollegen oft so nervig findet, dieses ewige hier ich bin so ein toller Typ, ey, du musst mich jetzt einfach toll finden (und wenn wir dann zusammen in der Kiste waren, melde ich mich auch bestimmt nicht mehr). In ihrem Kopf, also in ihrer eigenen Denkwelt nannte sie diese Typen üblicherweise Mamasöhnchen. Müssen den ganzen Tag und unter Umständen auch noch die Nacht irgendwelchen Frauen gefallen. Aber eigentlich nur um damit vor ihren Kumpels angeben zu können.
Sie konnte dieses Spiel auch ganz gut, auch sie praktizierte es gelegentlich bei anderen Frauen, aber das hier war was anderes. Hier ging es richtig um was. Denn Tobi war einfach anders. Und das, was er in ihr auslöste war auch ganz anders. Es war das Gegenteil von aufregend. Er beruhigte sie, sie war einfach schön hier so neben ihm zu sitzen und sonst gar nichts weiter zu tun. Über Gitarristen reden, so schoss ihr in den Kopf, am besten den von der letzten Band.
„Sag mal, wie fandest eigentlich Bel Air“, beginnt sie also das Gespräch. Und da Tobi ja völlig unbefangen ist, antwortet er genau und präzise, wie es so seine Art ist: „Hm, ich fand sie insgesamt ein wenig zu süßlich, ich mag lieber die etwas rauere Gangart. Aber den Gitarristen, den fand ich toll. Aber leider haben die den immer so kurz gehalten, ich hatte den Eindruck, die beiden am Mikro, die konnten das nicht ab, dass der auch mal nach ganz vorne kommt. Zuerst dachte ich ja, was iss´n das für n Typ, na ja so klein und schmächtig mit seiner schwarzen Pudelmütze auf dem Kopf, der
erinnerte mich eher an Phil Campbell von Motörhead, der ist zwar nicht so schmächtig, trug aber zumindest 2014 bei Rock am Ring auch so eine Pudelmütze. Auch die Flying V, die ist ja für mich eher so ´ne "Poser-Gitarre", da musste ich spontan an die Scorpions denken. Aber der Sound, den der spielte, das war ja was ganz anderes. Das war so feinfühlig und er folgte auch der Band immer so präzise und rockte da nicht einfach irgendwas drüber. Da musste ich spontan an John Cippolina aus den 60ern denken. Das war ja auch so ´n schmächtiger zurückhaltender Typ. Sag mal, interessiert dich das überhaupt, ich meine, dieser ganze Gitarrenkram?“ Tobi konnte sich noch gut daran erinnern, dass seine Schwester immer schnell wieder weg war, wenn er so über „seine Gitarristen“ philosophierte.
Chris wurde innerlich unruhig, auch wenn sie es natürlich nicht zeigen wollte. Der hatte ja alles mitgekriegt. Das gab´s doch gar nicht. Genauso war´s ja auch, Sie hätte gerne wenigstens einmal richtig Raum für ein Solo bekommen, aber davon hielten die andern nichts. Die mochten keine Freiräume, es sollte alles immer genauso klingen, wie auf der CD. Das war `n Job, mehr nicht.
Zu Tobi sagt sie: "Na ja, die V (sie spricht es englisch aus, also "wi") hat schon einen besonderen Sound. Andy Powell von Wishbone Ash spielt ja auch so ein Teil und der ist kein Poser. Und spielt auch sehr melodiös und immer für den Song und nicht dagegen. Und außerdem hab´ ich die mal von Michael Schenker bekommen und da hängt man dann natürlich dran. Aber was die Band betrifft, da hast du natürlich recht, die wollen mir keinen Freiraum geben." Uh, jetzt hatte sie sich offenbart, was sie eigentlich gar nicht vorhatte, aber auf so `n´ Typen, der so auf diese Gitarristen der alten West Coast Ära steht, trifft man ja auch nicht jeden Tag.
Tobi guckt sie völlig verdutzt und recht lange an und sagt natürlich nichts. Aber da kommt gerade eine junge blonde Frau mit so einer schwarzen Mütze vorbei geschlendert. Also geht Chris kurz entschlossen zu ihr hin und nimmt ihr die Mütze einfach weg, setzt die sich selbst auf, schiebt ihre Haare unter die Mütze und stellt sich so vor Tobi hin. Sie stellt also das linke Bein auf dem Baumstamm genauso als ob der eine Monitorbox wäre und stellt sich jetzt in ihre „Frontpose“, in der sie ihr rechtes Bein zwischen die beiden Äste der V geklemmt hat und tut so, als ob sie Gitarre spielen würde. Die blonde Frau ist zunächst etwas ärgerlich, aber schaut dann Chris erstaunt an und meint: "Ach, DU bist die Gitarristin von Bel Air? Ohne Mütze hätt´ ich dich gar nicht erkannt. Und der Typ da, der will´s dir nicht glauben, oder was?" Sie zeigt auf Tobi. „Viel schlimmer", erwidert Chris, „der denkt, das war `n Typ da auf der Bühne." „Au backe", meint die Blonde lachend, "aber so sind se eben, diese alten weißen Männer." Ein Begriff, der so gar nicht zu Tobi passt, aber gerade das findet die Blonde offensichtlich sehr lustig. Chris lacht kurz mit und gibt ihr die Mütze zurück.
Tobi ist natürlich ganz schön rot angelaufen. Das sich 2 Frauen über ihn lustig machen, das weckt Erinnerungen bei ihm. Bei seiner Schwester und ihren Freundinnen war das ja damals nichts Ungewöhnliches gewesen.
Chris haut ihm gutgelaunt auf den Oberschenkel und sagt: „Na, jetzt isses raus. Mach dir nichts draus. Auf der Bühne ist man eben gern mal jemand anderes. Sag mal, klampfst du auch, ich meine, so wie du über Gitarristen sprichst?" Tobi ist ehrlich erleichtert, dass er von Chris so schnell aus seinen Erinnerungen gerissen wird und antwortet: "Nee, ich schraube lieber an alten Autos rum und höre dabei aber gerne guten Gitarrenrock." „Echt, hast du vielleicht so `n´ alten Amischlitten. Der wär cool für Bandfotos. „Nicht ganz, ich hab´ `nen alten Diplomat, den ich zum Muscle Car umbaue. So mit Chromrädern und dicken Puschen hinten drauf. Und so `n´ Kram.“ Tobi holt sein Smartphone raus und zeigt Chris ein paar Bilder von seinem Projekt. Chris gefällt das, irgendwie ist schon so eine angenehme, vertraute Stimmung zwischen ihnen entstanden, als würden sie sich irgendwie von früher kennen. „Kann man mit dem fahren?“ Fragt sie, denn sie stellt sich gerade so ein paar schräge Bandbilder vor. Sie weiß von Rudi, dem Drummer, dass es mal einen Chevrolet Bel Air gab und denkt, das würde doch eigentlich ganz gut passen. Tobi wiederum ist freudig überrascht, dass sich hier eine Frau mal für sein Geschraube interessiert. „Na ja, man kann ihn dazu bringen mit `nem roten Kennzeichen ein bisschen rumzufahren. Ne richtige TÜV Abnahme krieg´ ich dafür so nicht. Und er steht auf um das Bier aus seiner Kühltasche jetzt mal zu holen. Doch Chris zeigt nur auf ihr Bändchen und meint, komm´ doch mal mit, ich frag´ mal beim Rudi, ob wir das Teil mal für so `n´ Fotoshooting von der Band nehmen könnten. Das wär´ doch auch für deine Karre cool, wenn die da auf irgend so `n´ Plakat käme.
Natürlich fände Tobi das cool und so geht er mit, Chris lotst ihn durch die Kontrolle in den Backstage Bereich. Da ist Rudi grad nicht zu finden, weder beim Bier- noch beim Würstchenstand, fragt sie Tobi einfach nach seiner Handynummer und wo er denn so wohne. Plattendorf kennt sie nicht, Gifhorn, die nächste Kleinstadt auch nicht, aber Wolfsburg, ah, Wolfsburg ja, da spielen wir doch demnächst im Hallenbad. Ein Laden in Wolfsburg, den Tobi kennt. Woraufhin Chris meint, das ist ja super, ich setz´ dich auf die Gästeliste, dann können wir uns da ja wiedertreffen. Sie holt nochmal Bier und beiden prosten sich vergnügt zu, dann kommt Rudi und meint, sie müsse ihren Kram jetzt rein räumen und sie prostet Tobi nochmal zu, bevor sie mit Rudi verschwindet.

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