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Fourniersches Gangraen

Fourniersches Gangraen

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Fourniersches Gangraen am 23.08.07 um 01:32

An alle, die im Bereich INDUSTRIAL sind

Für alle im Bereich INDUSTRIAL: Bitte diesen Blog lesen!

Da es immer wieder bei Bewertungen im Industrial/Noise-Bereich Unstimmigkeiten gibt hinsichtlich der Bezeichnung INDUSTRIAL, möchte ich hier eine Kurz-Info zum Thema zur Verfügung stellen, damit man von einer gleichen Diskussionsgrundlage ausgeht, wenn es darum geht, über Bewertungen dieses Genres zu diskutieren.

Vielfach beginne ich meine Review mit "DAS IST KEIN INDUSTRIAL", was vielleicht viele Leute besser verstehen, wenn sie diesen Blog gelesen haben. Es geht dabei nicht darum, Schubladendenken zu forcieren oder zu demonstrieren, dass ich als Reviewer das Definitionsmonopol okkupiert habe, sondern es geht vielmehr darum sich adäquat über Musik austauschen zu können, wozu auch ein bestimmter Erwartungshorizont gehört, den der Hörer mitbringt, wenn er in ein bestimmtes Genre reinhört. Sicherlich gibt es stellenweise einen sehr inflationären Gebrauch von Genre-Neuschöpfungen, die teilweise dermaßen unnütz sind, dass ich mich frage, wie viel Langeweile man haben muss, um hier oder da Feinheiten unterscheiden zu wollen und die dann auch nur am Schaffen vielleicht eines einzigen Künstlers festzumachen.

Dennoch: Es gibt hier bei MoM und auch außerhalb der MoM-internen Festlegungen Kategorisierungen, die ich durchaus für sinnvoll halte:

Industrial (in Reinform, - hier als Indie-Industrial bezeichnet)

Electro Industrial (amerikanischer Post-Industrial, der mit den Ursprüngen fast nichts mehr gemein hat, bis auf den Namen, - hier als Electro Industrial bezeichnet)

Industrial Metal (eine ebenfalls aus der Post-Industrial entstandene Variante, die eine Melange aus Electro-Industrial und verschiedenen Einflüssen des Metals darstellt, - hier unter Industrial Metal zu finden)

Um die Unterschiede zu verstehen und daher auch zu begreifen, warum mir diese Unterschiede so wichtig sind, ist es sinnvoll, ein Blick auf die Entstehungsgeschichte dieser Genres zu werfen. Im Folgenden sei diese kurz (!) skizziert (Quellenanlehnung Wikipedia)


Industrial

Industrial ist eine Kunst- und Musikrichtung, die sich ab der Mitte der 1970er-Jahre weltweit aus Elementen der experimentellen und Avantgardemusik sowie der Konzept- und Aktionskunst entwickelte. Der Begriff „Industrial“ entstammt ursprünglich dem englischen Label Industrial Records, das kollektiv von den Mitgliedern der Band Throbbing Gristle gegründet und geführt wurde, die eine zentrale Position im frühen Industrial innehatten.

Hintergrund

Eine wesentliche Komponente des Industrials war und ist die Provokation entlang der äußersten Ränder des Erträglichen. Um zu irritieren bzw. zu schockieren werden extreme Darstellungen von Gewalt, Sexualität, Krankheit, Krieg und Tod mit bedrohlichen und aggressiven Klangcollagen und Lärm unterlegt. Dabei ist die Provokation kein Selbstzweck, sondern beabsichtigt durch die Unausweichlichkeit seiner Drastik eine Verstörung des Hörers, die zum Keim emanzipativer Prozesse werden soll.

Als Einflüsse finden sich dabei Mail-Art-, Performance- und Aktionskünstler, Dada sowie Schriftsteller wie William S. Burroughs und Brion Gysin. Aber auch außerhalb der Kunst liegende Gebiete wie Psychologie, Werbung und Geschichte waren und sind wichtige Inspirationen für die Industrial Culture (darunter von zentraler Bedeutung als immerwiederkehrende Topoi die Geschichte Deutschlands im Nationalsozialismus, Terrorismus, der Kolonialismus mit den teils folgenden Unabhängigkeitskriegen sowie Motive aus Psychiatrie und Medizin). Von relativ geringer Bedeutung sind dabei bemerkenswerterweise musikalische Einflüsse, zu nennen wären höchstens die Musik des Futurismus, Free Jazz und Free Improv, Musique concrète und einige Krautrockbands (Cluster, Tangerine Dream, Neu!, Kraftwerk).

Entstehungsphase

Bereits um 1974 formierten sich die ersten Industrial-Künstler, unter ihnen Cabaret Voltaire aus Sheffield und Boyd Rice aus Denver. Während dieser Zeit entstanden zahlreiche Aufnahmen, die allerdings erst später einer breiteren Hörerschaft zugänglich gemacht wurden. Wie bei vielen Industrial-Formationen dienten Gitarren nicht als typisches Rockinstrument, sondern als unkonventioneller Klangerzeuger. Rice beispielsweise schuf einen Teil seiner Aufnahmen mithilfe einer „Rotorgitarre“, einer E-Gitarre mit angeschraubtem Ventilator, der mittels Antriebsschraube die Saiten zum Schwingen brachte und den gewünschten Lärmeffekt erzielte. Diese Aufnahmen wurden 1977 unter dem Titel „The Black Album“ auf dem Markt veräußert.

Im selben Jahr veröffentlichten Throbbing Gristle, hervorgegangen aus der Extremperformancegruppe Coum Transmissions, das musikalisch bahnbrechende Album „2nd Annual Report“. Parallel dazu realisierten sie im angesehenen Londoner ICA (Institute of Contemporary Arts) eine „Prostitution“ betitelte Ausstellung. Objekte wie gebrauchte Tampons und Abbildungen aus Pornomagazinen wurden gezeigt und Auftritte einer Stripperin, von Throbbing Gristle selbst und der Frauen-Punkband The Slits fanden statt. Die Ausstellung provozierte einen nationalen Skandal, mit dem sich selbst das britische Parlament befasste und machte zugleich London zum Zentrum der Bewegung. Quasi aus dem Publikum heraus gründeten sich weitere Bands und Gruppen und Künstler aus anderen Ländern zogen teils dorthin. So entstand schnell ein internationales Netzwerk aus Plattenlabels, Künstlern, Medien und Auftrittsorten, das auch befördert wurde durch die Interaktion mit dem zeitgleich entstehenden Punk-Phänomen.

Weitere essentielle Projekte aus dem Umfeld von Industrial Records waren SPK, Cabaret Voltaire, Monte Cazazza und Clock DVA. Das dadaistisch inspirierte Künstlerprojekt Cabaret Voltaire absolvierte seine ersten Auftritte bereits 1975 und konfrontierte das Publikum mit aufeinander folgenden TV-Screenshots in hoher Schnittfrequenz, die Bilder von politischen Ausschreitungen, militärischen Zerstörungen oder faschistischen Symbolen zeigten.

Der 1978 in Australien gegründete Industrial-Act SPK verschaffte sich weitläufig Aufmerksamkeit, indem er mit Flammenwerfern auf der Bühne agierte und dem Publikum degoutant inszeniertes Bild- und Filmmaterial sowie unstrukturierte Lärmkulissen präsentierte. Einigen Berichten zufolge gipfelte eine Live-Performance im Verzehr von Gehirn eines Schafes durch Kopf und Gründer Graeme Revell. Auffällig für SPK war die Auseinandersetzung mit Themen wie Wahnsinn, Tod, körperlicher Verstümmelung oder krankheitsbedingter Mutationen. In diesem Stil wurde ein Teil des Cover-Artworks mehrerer SPK-Veröffentlichungen gehalten.

Anfang bis Mitte der 1980er Jahre verfiel der innovative Impuls zunehmend, durch den sich Industrial anfangs ausgezeichnet hatte und das ursprünglich komplexe Geflecht aus Medientheorie, Kunst und Provokation degenerierte zu einem Stereotyp. Die meisten Industrialbands lösten sich zu dieser Zeit entweder auf oder gingen komplett neue Wege.

Entwicklungen innerhalb der Post-Industrial-Ära

Eine Fortentwicklung aus dem Industrial stellen die ab den frühen 1980er Jahren neu entstandenen Richtungen Power Electronics, Martial Industrial, Death Industrial, Dark Ambient und Ritual dar. Diese Epoche, die mit der Auflösung des Industrial-Hauptacts Throbbing Gristle und mit der Gründung von Psychic TV einsetzt, wird als Post-Industrial bezeichnet. Ferner waren Überlagerungen mit anderen Genres, insbesondere mit dem Post-Punk-Umfeld, charakteristisch (Joy Division, Killing Joke). Diese Überschneidung findet sich unter anderem bei Künstlern wie Skinny Puppy oder Death In June. Der Begriff Post-Industrial ist jedoch nicht unumstritten, da er sich außerhalb der Industrial-Bewegung nur sporadisch durchsetzte und die damit bezeichnete Epoche chronologisch nur schwer greifbar erscheint.

Einflussreiche Künstler dieser Zeit waren Lustmørd, Esplendor Geométrico, Einstürzende Neubauten, Coil, Test Dept., Zoviet France, Laibach, P16.D4, Z'ev, Zos Kia, Foetus oder Hunting Lodge, sowie einige Künstler aus dem Umfeld des Come-Org-Labels (u. a. Whitehouse und Nurse With Wound).

Aufgrund stilistischer Wechselwirkungen zeigten sich mehrere Querverbindungen zu Künstlern aus dem Neofolk-Genre. Diese Tatsache beruht möglicherweise auch auf den frühen Tätigkeiten von Boyd Rice, der bereits 1975 mit seinen Anti-Platten Material veröffentlichte, das sich für beide Stilrichtungen als wegweisend erwies. So suchten die experimentierfreudigen Avantgarde- und Neofolk-Projekte wie Current 93, Nurse With Wound oder Death In June mit Hilfe post-industrieller Strömungen nach weiteren Ausdrucksmöglichkeiten.

Entwicklung hin zum Electro-Industrial und Industrial-Metal

Aus einer Verschmelzung des Industrial mit elektronischer Punkmusik (DAF, Die Krupps) ging die Electronic Body Music hervor, die wiederum zahlreiche nachfolgende Musikstile beeinflusste.

Über weitere vielfache Kreuzungen mit anderen Stilen (bspw. Rockmusik und Metal) entstand in den USA und Kanada eine Generation, die sich von den klassischen Urhebern bereits weit entfernt hatte. Ab dem Ende der 1980er Jahre kamen diese neuartigen, als Industrial Rock und Industrial Metal bezeichneten Stile durch Künstler wie Ministry oder Nine Inch Nails auch im Mainstream an. Das starke emanzipatorische Potential der ursprünglichen Industrial-Bewegung wich dabei zunehmend einer reinen Schockästhetik. Von den intellektuellen Fundamenten (Medientheorie, Wahrnehmungsforschung, „Wirtschaftsguerilla“) sind in aller Regel nur mehr Fragmente erhalten geblieben. John McRobbie, Betreiber des Mute-Records-Sublabels The Grey Area, das sich auf die Wiederveröffentlichungen früher Industrial-Werke spezialisiert, sieht dies ähnlich:

„Als Monte Cazazza und Throbbing Gristle den Begriff Industrial Music prägten, war damit etwas gänzlich anderes gemeint als das, was die Musikindustrie heute in ihn hineininterpretiert. Ich mag Nine Inch Nails und Ministry, aber ich sehe nicht die kleinste Verbindung zu Throbbing Gristle, SPK oder den frühen Cabaret Voltaire. Die Industrie prägt einen Begriff von einer Art Musik, die nie unter ihrer Kontrolle war. Punk verlor an Ausdruckskraft, sobald sich die Industrie einmischte. Dem Industrial ist das nie passiert. Er entzog sich stets dem Mainstream. Und jene Bands, die vorgeben, dazuzugehören oder unfreiwillig in diesen Topf geworfen werden, haben nicht im Geringsten etwas damit zu tun.“

Dennoch gibt es bis heute einen sehr aktiven Untergrund, der weltweit miteinander vernetzt ist und vor allem über das Internet miteinander kommuniziert. Speziell die Subgenres Noise (begründet u. a. durch Merzbow) und Power Electronics (begründet durch den Come-Org-Kreis um Whitehouse) erweisen sich als außergewöhnlich lebendig.

Entwicklungen nach dem Ende der Post-Industrial-Ära

Mit der Entstehung von IDM, Hardcore Techno, Drum ’n’ Bass, Glitch und Clicks & Cuts in den 1990er Jahren, gab es etliche Künstler, die sich auf das Industrial-Umfeld beriefen und zur Entstehung weiterer Genres wie Breakcore, Rhythm ’n’ Noise oder Industrial Hardcore beitrugen.


Fourniersches Gangraen
Fourniersches Gangraen Oktober 2007
Doch, doch, hab ich ja teilweise auch!

CIMA MUTA
CIMA MUTA Oktober 2007
Achso, ich dachte du hättest den Text selber verfasst bzw. formuliert.

Fourniersches Gangraen
Fourniersches Gangraen Oktober 2007
Das Ganze steht bereits in etwas abgeänderter Form bei Wikipedia.

CIMA MUTA
CIMA MUTA Oktober 2007
Sehr gutes Anschauungsmaterial. Vielleicht noch ein paar Quellenangaben und das Ganze ist Wikipediareif :)


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