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Test: Röhren-Mischpult TL Audio M4

Duke of Sound
Test: Röhren-Mischpult TL Audio M4

Tradition und Fortschritt: In diesem Pult von TL Audio sind die Gegensätze in einem Gehäuse vereint.  

Von Hans-Günther Beer 

Englische Aufnahme-Mischpulte genießen unter Kennern den Ruf, aufwändig und sorgfältig gebaut zu sein und – vor allem – besonders musikalisch zu klingen. Die Konsolen legendärer Manufakturen wie Neve oder Trident begründeten schon vor vielen Jahren diesen Leumund.

Als ein in dieser Tradition stehendes, typisch britisches Mischpult geht das Modell M4 des in Letchworth, in der Grafschaft Herth, beheimateten Firma TL Audio schon auf den ersten Blick durch: Die von Professional audio Magazin getestete 16-Kanal Version des Röhren-Mischpultes ist groß und schwer. Das dunkel blau lackierte und mit massivem Eichenholz verkleidet Gehäuse wirkt nicht nur auf den ersten Blick vornehm und edel, sondern verstärkt diesen Eindruck noch bei der ersten Berührung: samtig aber solide. 

Alle Potentiometer jedes der 16 Kanalzüge mit ihren hochwertig verarbeiteten Metallknöpfen laufen ungemein präzise und mit einem leichten Drehwiderstand, als seien sie in zähes Öl getaucht. Die Druckschalter klicken sanft und scheinen für die Ewigkeit gebaut. Die 100 Millimeter-Fader wiederum laufen widerstandsfrei und leicht und lassen sich präzise fein justieren. Der erste Kontakt mit dem M4 jedenfalls ist ein haptischer Hochgenuss und macht die 8.000 Euro, die das Pult in Deutschland kostet, schon nachvollziehbar.
 
Das M4 wäre kein typisches TL Audio-Produkt, wenn es seinem Vintage-Image nicht auch im Innern gerecht würde. Dort arbeitet in jedem Kanal eine Röhrenstufe, die für den typischen warmen und fetten Klang, wie er von Firmengründer Tony Larking gewünscht wird, zuständig ist. 

Damit erbt das M4 die Gene der berühmten VTC-Konsole aus dem gleichen Hause, deren Anwenderliste sich wie das Who’s who der internationalen Musikszene liest. Doch im Gegensatz zum großen Bruder muss sich das M4 in Sachen Ausstattung in Bescheidenheit üben. Busse oder vielfältige Routing- und Monitor-Möglichkeiten sucht man auf der ergonomisch gestalteten Front vergebens. Lediglich vier Aux-Sends – zwei davon pro oder post Fader schaltbar – und zwei Returns stehen zur Verfügung und schränken damit die Möglichkeiten stark ein. Doch das Konzept der M4 geht in eine andere Richtung. Es versteht sich als gut klingendes, 16-kanaliges Frontend – alternativ sind auch 24- und 32-Kanal-Versionen zu haben – für Mehrkanal-Aufnahmen. 

Um diesen Zweck optimal zu erfüllen haben sich die Entwickler einiges einfallen lassen. So ist jedem Kanalzug nicht nur ein Direct-out-Ausgang mit symmetrischer Klinkenbuchse zugeordnet, sondern jeder dieser Ausgänge lässt sich mit dem Track- Regler im Kanalzug im Pegel um ±15 Dezibel anpassen – ein seltenes, aber aus der Praxis kommendes Feature. Der Track-Abgriff lässt sich außerdem noch pre oder post EQ, also vor oder nach dem Equalizer, schalten. Zwei Schächte auf der Rückseite nehmen übrigens zwei digitale Erweiterungskarten auf. Sie sind unter der Bezeichnung DO8 für je rund 950 Euro zu haben. Sind sie installiert, ist das Pult um insgesamt 16 ADAT-Ein- und Ausgänge erweitert, um Verbindung mit einer Digital-Workstation aufzunehmen.

Will man mit den Direct-Outs nun Overdubbing-Aufnahmen machen, ist auf Grund der fehlenden Routing-Möglichkeiten einiges an Handarbeit von Nöten. Sind beispielsweise auf den Spuren eins bis fünf ein Schlagzeug aufgenommen und der Tonmeister will, während er diese Spuren abhört, weitere Kanäle aufnehmen, müssen die Mikrofone auf die neuen Kanal-Eingänge umgesteckt werden. Ob dies allerdings tatsächlich umständlicher ist als bei digitalen Pulten, wo das im Menü erledigt werden kann, sei dahin gestellt. Etwas nervig ist hingegen, dass die Schalter für die Phantomspeisung der angeschlossenen Kondensatormikrofone auf der Rückseite unter den XLR-Buchsen untergebracht sind. Da ist ein fummeliges Ertasten der Schalterstellung im Blindflug nötig, weil entsprechende Status-LEDs auf der ansonsten üppig bestückten Front fehlen. 

Dort finden sich aber weitere nützliche Schaltfunktionen unter den sehr bedienerfreundlich mit genügend Abstand untereinander geordneten Bedienungselementen. So lassen sich beispielsweise die Insert-Points pro Kanal wahlweise vor oder hinter die Equalizer schalten. Die abschaltbaren Vierfach-Equalizer besitzen zwei parametrisch einstellbare Mitten-Bänder, bei denen sich die Centerfrequenz zwischen 50 Hz und 2 kHz beziehungsweise 500 Hz und 18 kHz einstellen lassen. Die entsprechenden Regler rasten sanft aber bestimmt in ihrer Mittelstellung ein und lassen sich sehr feinfühlig justieren.

Als sehr universell erweist sich das M4 bei der Anpassung seiner Ein- und Ausgangspegel. Mit Ausnahme der beiden Master-Ausgänge und der Mikrofon- und Line-Eingänge lassen sich alle Anschlüsse auf der Rückseite, in ihrem Pegel zwischen -10 dB und +4 dB umschalten. Damit wird jeder Return- Send- oder Track- Ein- und Ausgang wahlweise an das Pegel-Niveau von Amateur-Geräten (-10 dB) oder Studio-Equipment (+4 dB) angepasst.

Ein Monitor-Ausgang zum Anschluss von Abhörlautsprechern für die Regie ist zwar vorhanden, ein weiteres Pärchen für den Aufnahmeraum allerdings nicht. Diese müssen an einen der beiden Aux1/2-Ausgänge angeschlossen werden. Auf die lässt sich wahlweise auch das Talk-Back Mikrofon für die Zweisprache mit den Künstlern im Aufnahmeraum schalten.

Bei der Vorbereitung einer Aufnahme, das zeigt sich sowohl im Mess- als auch im Hör-Test, kommt dem Gain-Regler ganz oben auf der schrägen Front eine besondere Bedeutung zu. Er entscheidet maßgeblich über den Klirr und damit den Klang des Pults. Mit einer Eingangsempfindlichkeit von -53 dB für +6 dBu am Ausgang – Kanal- und Masterfader auf 0 dB eingestellt – bietet das M4 einen praxisgerechten Wert. Die Aussteuerung der Röhren-Eingangsstufe bestimmt der Gain-Regler. Ein Zuviel, erkennbar am Aufleuchten der LED Drive direkt über dem Kanalfader, und schon wachsen die Gesamtverzerrungen deutlich über ein Prozent. 

Die FFT-Analyse des Klirrspektrums mit dem Audio Precision 2722 zeigte das typische Anwachsen vor allem der harmonischen Klirranteile (K2, K4 und so weiter), wie sie für ein Röhrenpult typisch sind. Aber unvermittelt und ohne Vorwarnung schießen dann plötzlich auch die unharmonischen Klirranteile (K3, K5 ...) in die Höhe. Hier ist ein sehr sorgfältiges Einpegeln unabdingbar – die Drive-LED darf bei maximalem Pegel bestenfalls leicht aufklimmen. Wer auf Nummer sicher gehen will, achtet darauf, dass sie nie aufleuchtet. Wer allerdings absichtlich einen fetten Sound wünscht, der mit Natürlichkeit nichts mehr zu tun hat, kann heftig am Gain-Regler schrauben und kommt damit auf seine Kosten. 

Die Abhängigkeit der Verzerrungen vom Eingangspegel und damit von der Aussteuerung der Röhren-Vorstufe zeigt die Kurve auf Seite 20. Sie offenbart auch: Zu den wirklich verzerrungsarmen Pulten zählt das M4 nicht; selbst im sicheren Aussteuerungsbereich sinkt der Klirr nie unter 0,2 Prozent. Im Vergleich dazu schwebt der Millennia Vorverstärker HV-3C mit seinen 0,004 Prozent in einer anderen Sphäre (siehe Test Seite 58). Doch dort zu schweben war nie die Absicht der Entwickler, denn im Drive-LED-bleibt-dunkel-Bereich erzeugt das Pult lediglich harmonische Verzerrungen, wie sie für den typischen Röhrenklang mitverantwortlich sind.

Die Aussteuerung mit den beiden wunderschönen Aussteuerungsinstrumenten gerät überraschend präzise. Denn deren Anzeigecharakteristik wurde sehr praxisgerecht ausgelegt, die Zeiger reagieren ausreichend schnell auf Impulse. Bei einer Anzeige von 0 dB liegen am Ausgang exakt +4 dB an, genau so wie es TL Audio verspricht. Alle anderen  Messwerte der M4 sind gut bis sehr gut: vorbildlich die  Gleichtaktunterdrückung oder das Phasenverhalten. Der Frequenzgang fällt unterhalb von 40 Hz leicht ab und ereicht bei 20 Hz seinen -3 dB-Punkt. 

Die praktische Arbeit mit dem erhabenen Briten gerät während des Testes zum Hochgenuss. Jeder Dreh an einem Regler und jeder Schalterdruck machen einfach Spaß. Positiv fällt außerdem die völlige Ruhe des Pultes auf. Kein Lüftergeräusch –weder im eigentlichen Pult noch im externen mit einem daumendicken Kabel verbunden Netzteil im 19 Zollgehäuse, stören die Konzentration. Sind die Eingänge erst einmal richtig eingepegelt, geraten alle Aufnahmen, die Professional audio Magazin anfertigt, auf Anhieb. Aufgezeichnet wird im Test sowohl über die Direkt-Outs auf den Mehrspur-Recorder Alesis HD 24 als auch standesgemäß analog auf eine penibel eingemessene Telefunken M15 mit ANT Telcom C4 Rauschunterdrückung. (Damit erreicht die Bandmaschine einen Fremdspannungsabstand von weit über 90 dB). Abgehört wird über die Boxen Adam S3A (Test in der nächsten Ausgabe). 

Im Hörtest wird die Konsole, den an sie gerichteten Erwartungen voll und ganz gerecht. Sie klingt ähnlich wie der TL Audio Mikrofonverstärker PA-1 (siehe Test Seite 62) auf positive Weise besonders offen und druckvoll. Der Klang ist nicht klinisch neutral, sondern hat Charme und Charakter, der immer ins Positive und Angenehme tendiert - vorausgesetzt, man behält die Drive-LED stets im Blick. Die mit diversen Mikrofonen , darunter  AKG C4000B,  Nevaton M51, Sennheiser MKH 40 (siehe Test in Ausgabe 5/2006), aufgezeichneten Stimmen – männliche und weibliche – behalten eindeutig ihren Charakter. Sie bekommen aber eine besondere Präsenz, nicht zu verwechseln mit einer Anhebung im Präsenzbereich durch Equalizer. Manche Toningenieure drücken diese Eigenschaft mit „Durchsetzungsvermögen im Mix“ aus, das bringt es auf den Punkt. Beeindruckend ist auch die musikalische Dynamik des Pults, gleichzeitig beherrscht es auch die feinen und leisen Töne, die immer plastisch und transparent bleiben. Dies zeigen besonders deutlich die mit den Sennheiser-Mikros und Telefunken M15 Bandmaschine aufgezeichneten Gitarrenaufnahmen. Die Aufnahme zeigt große Klasse,eine Vielfalt an Details und eine klar definierte Räumlichkeit. Alle diese Aufnahmen werden ohne klangliche Veränderungen mittels Equalizer durchgeführt.

Der Umgang mit den Equalizern, solange man sie dosiert bedient, gerät ebenfalls zum Genuss. Sie klingen sehr musikalisch und es lassen sich rein gehörmäßig alle gewünschten Manipulationen bei der Abmischung vornehmen. Als hilfreich zeigen sich bei den Mehrspuraufnahmen die Track-Regler. Ein feinfühliges Anpassen der Trackpegel untereinander nutzt einerseits den verfügbaren Headroom des Mehrspur-Aufnahme­gerätes für die Dynamik der Aufnahme aus und erleichtert zudem die spätere Abmischung. 

Die übersichtliche und ergonomisch gestaltete, seit Jahrzehnten bewährte Aufteilung aller Bedienungselemente auf der Front zeigt sich auch im hektischen Studio-Betrieb als jedem Digitalpult überlegen. Keine panische Suche nach einem bestimmten Menüpunkt in den Tiefen des Betriebssystems – ein Dreh am Potentiometer, ein Schalterdruck und schon geht es weiter. Allerdings fehlen deshalb auch die entsprechenden Features, was   die Bedienungsmöglichkeiten spürbar einschränkt.

Sie merken es schon, uns hat der Umgang mit dem M4 richtig Spaß gemacht und die klanglichen Meriten haben ebenfalls überzeugt.

Fazit

Das TL Audio M4 gehört zu einer seltenen Klasse von Mischpulten in der heutigen Zeit. Es ist gemessen an seiner Ausstattung mit 8.000 Euro sehr teuer. Es fehlen für manche Toningenieure wichtige Ausstattungsdetails, darunter vor allem die Busse oder vielfältige Routingmöglichkeiten, wie sie der große Bruder VTC bietet. Doch andererseits ist das M4 robust und sorgfältig für jahrzehntelangen Betrieb konstruiert. Außerdem ist es eine wahre Augenwaide und haptisch ein Genuss. Last but not least findet das M4 dank der optionalen Digital-Erweiterungen den Weg in die digitale Welt und lässt sich problemlos in eine DAW-Umgebung integrieren. Wer ein solches Konzept als ideal für sein Studio ansieht und die entsprechende Summe investieren will, sollte sich das TL Audio M4 unbedingt ansehen. Für alle, die weniger ausgeben wollen, hat TL Audio mit dem brandneuen M1 ein heißes Eisen im Feuer. Demnächst mehr darüber.



Kommentare


von  Professional audio am 01.06.2006
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