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Workshop Klassik-Mikrofonierung

Andrews Miking 101 - Folge 1: Othello, New York 2005
Workshop Klassik-Mikrofonierung

 

Willkommen zu einer neuen Serie, in der ich Ihnen in loser Folge von den technischen Details meiner Recording-Jobs berichte und Ihnen erläutere, wie ich das Live-Recording von klassischer Musik realisiere. Den Anfang macht die Aufnahme von Verdis Othello, die ich 2005 in New York angefertigt habe.

Von Andrew Levine

Das Aufnehmen klassischer Musik ist stets eine Herausforderung und erfordert sowohl Know-how, als auch Improvisationstalent und Flexibilität, wenn es darum geht, das Recording-Konzept vor Ort zu realisieren. So steht am Anfang jedes Jobs eine gründliche Vorbereitung. Und tatsächlich habe ich mir für alles, was ich in den letzten 14 Jahren aufgenommen habe, Vokal- und Instrumentalsolisten, Chöre, Orchester, Orgeln, Bands, Alphörner, Dudelsäcke, Metronome und durch eine stillgelegte U-Bahnstation gefegte Plastikflaschen jedes Mal gründlich Gedanken darüber gemacht, wie ich es dieses Mal anstelle, den Sound zu bekommen den ich haben will. Mittlerweile hat sich eine beträchtliche Menge an Aufzeichnungen zu allen meinen Jobs angesammelt, in denen sowohl meine Überlegungen im Vorfeld, als auch die letztlich realisierten Aufzeichnungen dokumentiert sind. Und so habe ich die grosse Kiste mit den Programmheften und meinen Aufzeichnungen durchforstet und einige interessante Projekte ausgegraben, die Ihnen nicht nur einen Einblick in meine Arbeit, sondern hoffentlich auch Anleitung und Inspiration für eigene Ansätze zur Realisierung von Aufnahmeprojekten liefert. Den Anfang macht die Live-Aufnahme von Guiseppe Verdis Oper Othello in der Regina Opera in New York 2005.

Das ist der Gig, für den ich bisher am weitesten gereist bin. Darauf gekommen bin ich durch meinen Freund Thomas Franke, Bariton und Gründer der LiederGalerie (Hamburg, Wien und Berlin), der in New York die Rolle des Ludovico/Herolds übernahm. Aufgezeichnet habe ich die beiden letzten der vier Abende.
Oper, ist das nicht die Königsdisziplin der klassischen Musik? Ich hatte zwar schon drei Jahre Aufnahme-Erfahrung intus, aber das war meine allererste Opern-Aufnahme. Oratorien kommen da zwar schon nah dran, aber im Unterschied dazu stehen die Solisten in aller Regel gesittet vor dem Orchester, das wesentlich kleiner ist und dahinter gibt es natürlich weit weniger Trubel. Wie also eine Aufführung mikrofonieren, in der das Orchester breit (und eng) vor der Bühne sitzt und die Sänger, auf der Plattform dahinter positioniert sich überdies ständig hin und her bewegen?

Vorüberlegungen

Bei meinen Jobs gilt für mich grundsätzlich: Ein Hauptmikrofon muss immer sein. Es dient als Lieferant einer Gesamtperspektive, in die sich die Position der anderen Mikrofone in Bezug auf die Mittelachse und ihre Entfernung vom Stereopaar einpassen lassen. Bei der Abnahme des Orchesters liegt meine Aufmerksamkeit in der Regel auf den hohen und tiefen Streichern sowie den Holzbläsern. Das Blech und Schlagwerk kommt fast immer gut rüber - wobei ein naher Spot natürlich deren hörbare Präzision steigern würde. Denn hohe Frequenzen werden durch Luft schnell abgedämpft. An Stützmikrofonen würde ich, so meine Planung, allenfalls einen der Kontrabässe abnehmen wollen.
Diskret will vor allem die Bühne abgedeckt werden. Sie liegt ein gutes Stück hinter den Instrumentalisten und dehnt sich oft noch viel weiter weg aus. Für eine Mikrofonierung zwischen Zuschauerraum und Orchester bieten sich mehrere Optionen an:

1. ORTF (Äquivalenzstereofonie) als Hauptmikrofon. Das muss wegen seinem Aufnahmeradius von 96 Grad allerdings dann mitten im Publikum stehen oder von oben abgehängt sein. Von Vorteil ist, dass es durch die beiden (±55 Grad) nach vorne weisenden Nieren nach hinten und auch unten (und oben) zu, weniger empfindlich ist als zur Bühne hin. Als weitere, dem ORTF-Verfahren ähnliche Mikrofonierungen, kämen unter anderem NOS und das von Eberhard Sengpiel definierte EBS in Frage. Beide haben einen Achsenwinkel von ±45 Grad und unterscheiden sich lediglich in Bezug auf die Distanz von 25 beziehungsweise 30 Zentimetern zwischen den Nierenkapseln.

2. Koinzidenz-Stereofonie / XY (mit ±45 Grad) als Hauptmikrofon. Hier sind die beiden übereinander angeordneten Nieren zwar mehr in Richtung Publikum gedreht, aber durch den mit 196 Grad extrem weiten Aufnahmebereich kann das Stereopaar direkt hinter dem Dirigenten aufgestellt werden.

3. Laufzeitstereofonie / AB (mit einer Kapseldistanz von 51,5 Zentimetern). Die beiden Mikrofone haben zwar (mit 180 Grad) fast einen dem 90 Grad-XY-Paar entsprechenden Aufnahmeradius, können also fast gleich nah am Rand des Orchesters aufgestellt werden. Aber bei Verwendung von Kugelmikrofonen mit omnidirektionalen Kapseln fängt man natürlich eine Menge mehr Publikumsgeräusche ein, als beim Einsatz richtender Kapseln.

4. DECCA-Tree. So schön ein DECCA-Tree mit seinen drei Kugel-Mikrofonen (original die sehr speziellen Neumann M50) für Streicher sowie Holzbläser auch in mein klangliches Vorstellungsbild passen würde, aber es ist nicht realisierbar. Denn drei Stative bekomme ich nicht ohne Reibungsverluste im Orchester unter und ein Abhängen der Mikrofone wie es DECCA selbst bei seinen Studio-Sessions gemacht hat, kommt nicht in Frage. Außerdem benötigt auch diese Konfiguration noch ein Hauptmikrofon und weiter links und rechts aufgestellte Flankenmikrofone sind auch oft zu finden. Schade, aber diese Option muss außen vor bleiben.

5. Mitte-Seite. Das koinzidente MS mit einer seitlich gerichteten bidirektionalen Kapsel und einer nach vorne gerichteten Kapsel beliebiger Charakteristik; meist wird eine Niere eingesetzt. Das ginge noch, bietet auch (bei einer unmatrizierten Aufzeichnung) die Option, die Breite des Stereopanoramas bei der Nachbearbeitung zu variieren. Aber eine Acht zu den Seiten nah am Publikum nimmt mehr nervige Störgeräusche als wertvolle Rauminformationen mit. Sorry, auch das scheidet aus. Zwischenfazit: Zur Auswahl für die Orchester-Mikrofonierung stehen somit drei Aufstellungen.


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Kommentare


von  Professional audio am 27.02.2015
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