Reportage Deutsches Rundfunkarchiv
Reportage Deutsches Rundfunkarchiv
Reportage: Deutsches Rundfunkarchiv Frankfurt
Edison steht auf der kleinen Holzkiste, deren antiken Holzdeckel André Huthmann – Toningenieur und leitender Tontechniker beim DRA – behutsam, aber durchaus vertraut abhebt. Der Kulturgutschützer Huthmann erklärt dazu: „Das ist ein Edison Phonograph. Viele wissen heute gar nicht mehr, was das ist und kennen nur noch MP3-Player und CDs.“ Dann zückt Huthmann einen schwarz lackierten Blechtrichter und steckt ihn zur Bündelung des Schalls auf die sogenannte Schalldose. In deren Innern befindet sich eine Membran an der eine stumpfe Nadel zum Abtasten der Rille auf der Walzenoberfläche befestigt ist. Im Grunde nichts anderes als bei einem Plattenspieler, nur dass die Welt des Phonographen keine Scheibe, sondern ein Zylinder ist.
Jetzt öffnet Huthmann die Walzenverpackung aus vergilbter Pappe und schiebt dann den schwarzen Wachszylinder, den er vorsichtig aus dem historischen Karton fischt, auf die passende Welle des Phonographen. Während wir nach dem Stecker Ausschau halten, greifen die flinken Finger Huthmanns behände zu einer kleinen Kurbel. Mit ein paar beherzten Drehungen ist die Feder gespannt und dann beginnt sich die Welle mit dem Wachszylinder zu drehen. Musik trötet lautstark aus dem Schalltrichter, aber das Vergnügen des sehr mittigen Blechsounds, nimmt nach einigen Sekunden ein leierndes Ende. „Es ist auch möglich mit dem Phonographen aufzunehmen“, erklärt Huthmann.“ Dafür muss der Trichter auf die Aufnahmen-Schalldose gesteckt und ein nicht beschriebener Zylinder eingelegt werden. Spricht man dann, während die Walze läuft, in den Trichter, überträgt die Membran die Schwingungen auf die Nadel, die dann die Ton-Informationen in die weiche Oberfläche schneidet. Auf diese Weise sind bereits Ende des 19. Jahrhunderts viele Tondokumente, oftmals auch aus dem privaten Umfeld, entstanden, die besonderen Wert für die Kulturwissenschaftliche Forschung haben und im DRA archiviert werden.
High-Tech und Nostalgisches im Deutschen Rundfunkarchiv Frankfurt
Was für ein Kontrast, steht doch der Phonograph inmitten eines computergestützten Highend-Archivierungsstudios. Der Edison-Schriftzug der antiken Holzkiste spiegelt sich in den Glastüren der voll bestückten Rack-Schränke, während der riesige LCD-Bildschirm samt zusätzlichem Kontrollmonitor auf dem elektrisch höhenverstellbaren Schreibtisch thront. „Beim DRA“, erklärt uns Huthmann begeistert „wird ausschließlich mit Sadie-Systemen gearbeitet. Damals wurden sie zusammen von Toningenieuren und Programmieren entwickelt und zum Teil sind noch Elemente wie der Schnittkopf aus der analogen Welt übernommen. Die Systeme sind sehr komfortabel zu bedienen und viele Funktionen einfach viel greifbarer als bei anderen Lösungen. Alleine, dass nach Abschluss eines Projekts, automatisch alle beteiligten Daten, egal wo sie auf den unterschiedlichen Festplatten verteilt sind, zusammengezogen werden, ist für unsere Arbeit mehr als praktisch. Aber das ist nur eins der zahlreichen gelungenen Features. Das System ist außerdem sehr zuverlässig und für uns das perfekte Arbeitswerkzeug.“ Nach der abgeschlossenen Restaurierung und Digitalisierung gibt es zur Qualitätssicherung eine festgelegte Vorgehensweise: Es wird immer eine restaurierte, lineare WAV-Datei mit 48 Kilohertz und 24 Bit gesichert. Zusätzlich gibt es ein MPEG1-2-File mit 192 kBit/s als sogenanntes MUSIFILE und Realaudio für die Webanwendungen zur Online-Recherche. Da das DRA aber auch an die Zukunft denkt, legen die Tontechniker zusätzlich immer auch noch ein unbearbeitetes WAV-File mit 48 Kilohertz und 24 Bit ab, denn wer weiß, welche Möglichkeiten zur Restauration in Zukunft noch zur Verfügung stehen.
Historische Originalaufnahmen aus der Zeit um 1900
Gerade arbeitet der Toningenieur an der Restauration einer Schallplatte, auf der Arthur Rubinstein die Mazurka in b-Moll von Chopin zum Besten gibt. Allerdings ist der Tonträger gebrochen und natürlich gibt es genau von dieser Schallplatte keine zweite im Archiv. „Man muss bei der Restauration sehr vorsichtig sein“, erklärt Huthmann, „da gerade bei Bruchstellen schnell der Tonabnehmer des Plattenspielers beschädigt wird und das kostet bei den hochwertigen Systemen dann immer gleich ein paar Hundert Euro.“ Bei der vorliegenden Platte handelt es sich um einen schwierigen Fall, da die Bruchstelle nicht senkrecht, sondern in einem Halbkreis parallel zu den Rillen verläuft. Für solche Spezialfälle hat sich Huthmann eine Aluminiumauflage für den Plattenteller angefertigt, auf der dann die einzelnen Teile der Platte mit doppelseitigem Klebeband und Knetgummi fixiert werden. „Viele kleben die Platten auch wieder zusammen“, erläutert der Restaurator, ergänzt dann aber: „Bei meiner Methode habe ich aber die Möglichkeit, die Positionen der Einzelteile immer noch einmal etwas zu verändern, um möglichst wenig Störgeräusche beim anschließenden Überspielen zu bekommen.“ Oft seien aber bei solchen Brüchen Teile der Rillen der Länge nach beschädigt und nicht mehr zu retten.
Die Philosophie des DRA beim Restaurieren historischen Materials ist: Mache so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich. Eine alte Schellackplatten-Aufnahme darf demnach, oder soll sogar ruhig rauschen und ein wenig knacken. Allerdings gibt sich das DRA größte Mühe, die Informationen authentisch, aber klanglich so gut wie möglich zu archivieren. Als Beispiel spielt uns Huthmann verschiedene Version des Chansons ‚Peter‘ von Marlene Dietrich vor. Alle unterschiedlich bearbeitet. Eine Version ist sehr stark von allen Störgeräuschen bereinigt: Es gibt kaum Rauschen und wenige Knacker. Dafür klingt die Aufnahme dumpf und unnatürlich. Außerdem sind deutliche Artefakte der Bearbeitung zu hören, die häufig bei starkem Einsatz von Restaurations-Tools auftreten. Der Aufnahme wurde außerdem ein Hallraum hinzugefügt, der überhaupt nicht der eigentlichen Aufnahme entspricht. Schließlich hören wir die bearbeitete Version des DRA. Sie hat den Charme der 1930er-Jahre behalten. Dazu gehört eben auch das Knistern und Rauschen. „Natürlich kommen wir auch in Grenzbereiche, wo wir uns die Frage stellen müssen, was ist bei der Digitalisierung wichtig“ erläutert Huthmann. „Wir sind aber immer bemüht, den Charakter des Originals beizubehalten und keine neue Version der Aufnahme zu erstellen.“
gebrochene Längsrillen einer Schallplatte
Einen Extremfall bekommen wir dann zu hören. Huthmann zeigt uns eine Decelith-Folie aus dem zweiten Weltkrieg, die dem DRA von einer Privatperson zur Archivierung überlassen wurde. Schon beim ersten Blick auf die deutlich beschädigte Oberfläche kommen starke Zweifel auf, ob überhaupt noch verwertbare Informationen zu retten sind. Es handelt sich um sogenannte Feldpost, die vom Deutschen Roten Kreuz als klingende Briefe für Angehörige von der Front verschickt wurden. Huthmann spielt uns das unbearbeitete Signal vor. Aus der Geithain-Abhöre knackt, rauscht und brummt es ganz gehörig. Irgendwo hinter dem garstigen Geräusche-Teppich ist eine Stimme zu erahnen. Einzelne Sprachfetzen wie ‚Deutsches Rotes Kreuz‘ oder ‚Front‘ sind nur mit größter Anstrengung zu verstehen, der Inhalt des Klangbriefs aber beim besten Willen nicht. Neugierig und etwas ungläubig blicken wir auf die nächste Wellenform auf dem Bildschirm – das restaurierte Signal. Tatsächlich, die Stimme ist plötzlich verständlich, Knacken und Rauschen zwar noch vorhanden, aber zumindest soweit in den Hintergrund verbannt, dass die Informationen zu verstehen sind. „In solchen Fällen, geht es nicht mehr darum, das Original möglichst unverfälscht zu lassen“, erklärt uns Huthmann und fügt hinzu: „Bei derart beschädigten Medien geht es darum, die Informationen zu retten und wieder zugänglich zu machen. Artefakte und Nebengeräusche von den Restaurations-Tools sind dann absolut nebensächlich.“ In diesem Zusammenhang erwähnt der Toningenieur, dass sie gerade ein Projekt auf Eis gelegt haben, weil die zu archivierenden Bänder (siehe Foto) derart beschädigt und verschimmelt seien, dass erst geklärt werden müsse, welche Gefahren bei der Restauration für die Mitarbeiter bestehen. Die Bänder aus den 1940er Jahren stehen bis auf weiteres unter Quarantäne, da auch der aktuelle Bestand des Archivs nicht gefährdet werden soll. Da sag nochmal einer, das Arbeiten im Archiv sei nicht gefährlich und aufregend.
unterschiedlichste Materialien: Schellack, Decelith, Gelatine, Pappe, Aluminium
Bei solchen Extrembedingungen ist es klar, dass das DRA auf wirkungsvolles und hochwertiges Arbeitswerkzeug zurückgreifen muss. Seit der ersten Stunde setzten die Mitarbeiter auf die Restaurations-Tools der englischen Firma Cedar, die auch zur Rekonstruktion von Toninformationen in der Forensik eingesetzt werden. Auch wenn die Racks voll mit eigenständigen, älteren 19-Zoll-Geräten von Cedar sind, wird heute überwiegend mit dem Cambridge-System gearbeitet, das unterschiedliche Plug-ins zur Bearbeitung zur Verfügung stellt. Über eine DIAS-Kreuzschiene sind zusätzlich alle Geräte – auch Zuspieler – über eine Matrix in das Gesamtsystem eingebunden und können je nach Anforderung flexibel kombiniert werden. Am häufigsten kommen die Cedar-Plug-ins Declickle, Decrackle, Dehiss, Debuzz und der DNS zum Einsatz. Wobei, laut Huthmann, gerade die gefürchteten Artefakte bei extremen Einstellungen sehr gering bleiben. Außerdem seien die Plug-ins sehr effektiv und intuitiv zu bedienen, böten aber trotzdem eine Vielzahl an sehr detaillierten Eingriffsmöglichkeiten. Als Wunderwaffe führt uns Huthmann exemplarisch das Retouch-Plug-in vor. Mit dessen Hilfe können einzeln auftretende Störsignale, wie etwa das Scheppern eines umfallenden Notenpults bei einer Aufnahme, eliminiert werden. Dafür markiert man den Bereich, der bearbeitet werden soll (siehe Screenshot) und das Plug-in rechnet das Störsignal aus dem Gesamtkontext heraus und zwar nur die ungewollten Anteile. Der Rest bleibt vollständig erhalten.
Zu guter letzt lassen wir es uns natürlich nicht nehmen, einem der riesigen Magazine im klimatisierten Kellerraum des DRA einen Besuch abzustatten. Uns erwarten rollbare Archivregale, die bis unter die Decke mit Schallplatten und Wachsrollen, aber auch Notenrollen für die sogenannten Pianolas (selbstspielende Klaviere) beladen sind. Der Begriff der Piano-Rolle, wie viele ihn sicher nur mit dem MIDI-Editor im Sequenzer verbinden, bekommt eine ganz neue Dimension, wenn man einmal die Papierrollen mit den Ausstanzungen für die Aktivierung der einzelnen Töne in natura gesehen hat. Außerdem wird auch klar, warum heute noch der Begriff Album für fertige CD-Produktionen verwendet wird. Huthmann zeigt uns ein wirkliches Album, hergestellt von der Electrola. Zu hören ist Arthur Rubinstein und das Londoner Symphonie-Orchester unter der Leitung von Albert Coates. Es handelt sich um eine Aufnahme von Brahms Konzert in B-Dur. Was heute spielend auf eine CD passt, befindet sich auf zirka zehn Schellackplatten, die in einem Album mit gebundenem Einband fein säuberlich verstaut sind. Dabei wiegt das Album gut und gerne drei Kilogramm. „Auf eine Seite“, erklärt uns Huthmann „passten eben nur maximal vier Minuten. Dann musste die Platte gewechselt oder umgedreht werden, anders ging es nicht.“
Das Cambridge-System von Cedar mit zahlreichen Restaurations-Plug-ins
der seltene Studio-Plattenspieler EMT 927 zum Abspielen von Großformat-Platten
Clemens Schlenkrich
Das ist die Überschrift
Interview mit Clemens Schlenkrich
? Herr Schlenkrich, seit wann gibt es das DRA und was ist dessen Hauptaufgabe? !
? Werden die Tonträger und Dokumente auch hier gelagert?
? Wo sehen Sie den Schwerpunkt des DRA?
? Welche Anfragen kommen am häufigsten vor?
? Was genau wird denn eigentlich im DRA archiviert?!
? Sie sprachen von einer ganzen Menge Material. Wie viele Tonaufnahmen liegen denn mittlerweile schon digitalisiert vor?
? Was sind das für Datenmengen und wo werden die Daten gespeichert? !
? Wie sicher sind die digitalen Kopien denn wirklich und kann gewährleistet werden, dass sie in 50 Jahren immer noch vorhanden sind?
? Wird es in Zukunft keine originalen Dokumente mehr geben, sondern ausschließlich digitale Kopien, um Platz und Geld zu sparen?
Clemens Schlenkrich
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