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Reportage Chandler Limited

Reportage Chandler Limited

Reportage Chandler Limited

Reportage: Chandler Limited

Im Laufe eines Journalistenlebens erlebt man recht unterschiedliche Szenarien, wenn’s um Firmenportraits geht: Mal diniert man, flankiert von PR-Berater und Pressesprecher, mit dem Vorstandsvorsitzenden im feinsten Restaurant und erfährt zwischen Aperitif, Kalbsmedaillons an Rahmtrüffel und Creme Brulée vom Werdegang des Unternehmens, um hernach vom emsigen Pressestellen-Mitarbeiter durch die heiligen Hallen geführt und mit reichlich hintergründigem Hochglanzmaterial ausgestattet zu werden. Ein andermal hockt man bei einem bodenständigen Unternehmer im Büro, hört die vierte Fassung der Ja-so-hat-damals-alles-begonnen-Geschichte, bekommt eine der zum 25-Jahre-Jubiläum herausgegebenen, leider nicht mehr aktuellen Firmenchroniken, darf danach unbewacht durch die Produktion schlendern und nach Herzenslust fotografieren. Und wieder ein andermal wird man von einer schmallippigen Presse-Assistentin schlicht auf die Homepage verwiesen: „Da finden Sie alles.“ Bei Chandler Limited in Shell Rock, Iowa, USA, ist alles ganz, ganz anders: Auf meinem Weg quer durch die USA liegt Iowa auf der Route und ein Abstecher nach Shell Rock ist kein allzu großer Umweg. Meine E-Mail-Anfrage bei Chandler Limited, ob der nächste Mittwoch ein geeigneter Interview-Termin sei, beantwortet Firmenchef Wade Chandler Goeke persönlich mit einer Zusage und der Rückfrage, wie er sich auf das Interview vorbereiten solle. Ich maile ihm, dass außer seiner Zeit, seinem Gedächtnis und ein paar Anekdoten nichts nötig sei, worauf er mir ein knappes „Sounds good!“ zurückschreibt. Was er nicht schreibt: Shell Rock ist eine Großbaustelle und sein Firmensitz in der South Cherry Street ist nur über eine reichlich komplizierte Umleitung zu erreichen. Das Tom-Tom führt mich dann doch zur Cherry Street, in der allerdings nichts darauf hinweist, dass hier irgendwo feinstes Pro Audio-Equipment zusammengeschraubt wird.

Wade Chandler mit seinen beiden Söhnen

Was fasziniert einen noch recht jungen Mann, der eigentlich im Digitalzeitalter aufgewachsen ist, so am „Vintage Sound“, frage ich und Wade erzählt, dass er mit diesem Sound großgeworden ist. Seine Eltern hören vorzugsweise Beatles, Eagles, Simon and Garfunkel oder Queen und sie fördern auch die musikalischen Ambitionen des Sprösslings: Mit zwölf Jahren beginnt Wade Gitarre zu spielen und bekommt obendrein ein 4-Track-Tonbandgerät. Er kann‘s heute noch kaum fassen: „Ich war zwölf und bekam mein eigens Vierspur-Gerät!“ Klar doch, das prägt. Nach der Highschool jobbt er in Kalifornien bei Brent Averill Enterprises, ein Unternehmen, das auf die Wiederaufbereitung von Profi-Hardware spezialisiert ist, und in verschiedenen Studios. Gleichzeitig macht er Musik in diversen, semiprofessionellen Bands, probiert als Gitarrist alles an alten Gitarren-Amps durch, was ihm in die Finger kommt und beginnt mit ersten Experimenten zur Klangoptimierung. Die Spielerei verdichtet sich zur beruflichen Perspektive. Ich frage nach dem Studium, doch Wade meint locker, er sei in diesem Punkt kompletter Autodidakt und wisse nicht recht, ob das nun gut oder schlecht sei. Ich tröste ihn mit der Bemerkung, dass er damit in bester Gesellschaft sei und selbst mein großes Jugendidol, Thomas Alva Edison, es ohne klassische Schulbildung oder gar Studium zu einem der erfolgreichsten Erfinder gebracht habe. Und irgendwie sei der, als Ur-Vater der Schallaufzeichnung, ja so etwas wie sein Mentor. Doch da lebt einer im goldenen Kalifornien und dann baut er seine Firma ausgerechnet in Shell Rock, Iowa auf. Ich bin verblüfft, doch Wade begründet das ganz simpel. Erstens kommt er aus Waverly, „einer Stadt um die Ecke“, zweitens sind die Grundstückspreise hier günstiger als in Kalifornien und drittens will er von Anfang an nicht das „Big Business“, sondern einen Familienbetrieb, bei dem Papa und Mama mitmachen und er auch Zeit für Frau und Kinder hat. Ach ja, die Kinder: Die wuseln immer noch zwischen uns rum. Doch da das Interview nicht im bequemen Sessel stattfindet (auf dem präsentiert Wade stattdessen seine Lieblingsmikrofone), sondern als Wanderpredigt durch die Chandler „Laboratories“ erfolgt, stört das auch nicht weiter. Immer wieder unterbricht Wade seinen Redefluss, bückt sich kurz, zerrt eine Kiste aus einem Regal hervor und präsentiert weitere Schätze: Platinen, Konsolen, Bauteile – Hauptsache viel. Als ich frage, woher er denn all diese Schätzchen hat, bekommen seine Augen wieder den fröhlichen Glanz und er schwärmt mir von „Vintage King“ vor, einem Importeur und Versender, der vor Jahren aus Südafrika tonnenweise „den guten alten Kram“ importiert hat und von dem er vor allem die originalen EMI-Komponenten bezieht. Der Rest hat sich „über die Jahre so angesammelt“. Wie er so in seinen Kostbarkeiten wühlend dasitzt, muss ich an Dagobert Duck denken und stelle mir vor, wie Wade statt in Talern zu baden, lustvoll in einen Pool von alten EMI-Platinen hüpft. Ach ja, EMI, sein Lieblingskind: Von den Engländern bekam er die Lizenz zum Löten, seither frickelt er bevorzugt an EMI-Komponenten und entwickelt die alten Schaltungen weiter – selbstverständlich mit regem technischem Austausch und jeweiligem Segen der Rechteinhaber. Falls nötig, passt er die Schaltungslayouts aktuellen Bedürfnissen an. So bekommt beispielsweise der „neue“ TG 1 einen Attack-Schalter, den das Original nicht hatte. Kurios: Manche Layouts sind auch in den EMI-Archiven nicht mehr vorhanden, dann muss er sie „recreaten“. Die Schwierigkeit dabei: Keiner weiß mehr so genau, wie die alten Teile denn wirklich geklungen haben, als sie neu waren. Denn auch originale Platinen von einst sind – selbst unbenutzt – in die Jahre gekommen. Speziell Elektrolyt-Kondensatoren altern, da können klangliche Veränderungen nicht ausbleiben. Und auch am originalen Bandmaterial von damals ist die Zeit nicht spurlos vorübergegangen.

Chandler Fertigung Chandler Endkontrolle

Der Vintage Sound lebt von der Erinnerung. Die alten Teile mit neuen Bauelementen aufzubauen, ist natürlich auch nicht der Stein der Weisen – zu viele kleine Faktoren spielen eine Rolle. Aber man kommt dem Original verdammt nahe. Ob die neu (auf)gebauten Geräte denn wohl besser klingen als die alten Scherben, will ich wissen. Doch Wade hält sich zurück: „Besser“, meint er nachdenklich, „sicher nicht. Vielleicht etwas frischer, klarer, entstaubter.“ Die Herausforderung sieht er denn auch darin, mit seinen Geräten den Vintage Sound für modernste, digitale Aufnahmetechnik zu bewahren. Beim Stichwort Herausforderung fällt ihm sein jüngstes Baby ein. Overdrive-Pedale für Gitarristen – ebenfalls für die Germanium- und die Little Devil-Serie vorgesehen. Die Prototypen sind fertig. Jetzt geht’s an den Feinschliff. Der ganz banal sein kann: Einer von Wades 25 Angestellten brütet über einem Katalog und sucht verzweifelt nach Rändelschrauben, die für die Pedale tauglich sind und nicht 1,50 Dollar je Stück kosten. Denn immerhin vier Schrauben sind nötig, was die Fertigungskosten um stattliche sechs Dollar hochtreiben würde. Wade klopft seinem Mitarbeiter kameradschaftlich auf die Schulter, meint „Ich weiß, Du findest was Passendes“ und erzählt mir nebenbei, dass die Arbeit am Platinen-Layout der Pedale weit schwieriger als erwartet sei. Viel schlimmer als die Arbeit an einem Mikrofon-Vorverstärker oder einem Kompressor. Der Grund: „Recht wenige Bauteile, doch kleinste Änderungen haben riesige Wirkung“, meint er, „jeder Gitarrist kennt das.“ Dennoch, in drei Monaten sollen die Pedale auf den Markt kommen. Ich bin sicher, sie haben dann auch ordentliche Schrauben. Inzwischen stehen wir in der „Fertigung“ und schauen einem der „Wiring Guys“ über die Schulter. Der wirkt völlig entspannt und fummelt mit unendlicher Geduld Drähtchen für Drähtchen in die richtige Position, setzt Lötpunkt für Lötpunkt auf der Platine eines Kompressors der Germanium-Baureihe. Bloß keine Hektik. Die sorgfältige Handverdrahtung ist der Schlüssel zum Erfolg. Alles ist festgelegt: Wie die Drähte gebogen sind, wie viel abisoliert wird, wo Kabelbinder sitzen, wie lang Schirmungen sind. Rund dreieinhalb Stunden dauert es, bis die Verdrahtung erledigt ist. Dazu addiert sich die schon zuvor aufgebrachte Zeit fürs Bestücken der Platine mit Widerständen, Transistoren, Elkos und Schaltern, die natürlich auch in Handarbeit erledigt wird. Für einen ordentlichen Mehrstufenschalter beispielsweise braucht’s schon eine gute Stunde, bis alle Widerstände sauber eingelötet sind. Wade greift in eine Schachtel voller einbaufertiger Drehschalter und nimmt einen raus. „Kaum zu glauben“, staunt er selbst ein wenig, „den rohen Schalter kaufen wir für knapp fünf Dollar ein – jetzt ist er über 60 Dollar wert.“ Als hätte er’s zuvor noch nie bemerkt, blickt er sich um, sieht regaleweise Bauteile, Platinen, halbfertige Komponenten, aufgestapelte Geräte und murmelt fast ungläubig: „Das ist richtig viel Geld.“ In dem äußerlich so unscheinbaren Gebäude lagert tatsächlich ein kleines Vermögen. Ebenso im Gebäude gegenüber, der derzeitigen Dependance, in der hauptsächlich die Platinenbestückung stattfindet. Doch damit ist bald Schluss. Wade hat das Nachbargebäude erworben. Das wird gerade renoviert und bald findet Chandler Limited in größeren Räumen mit mehr Platz statt. Ob’s da ordentlicher zugehen wird? Ich glaube kaum, aber das macht nichts, solange es in den Geräten so akkurat zugeht und Wade weiter akribisch tüftelt und seine Mitarbeiter mit Ruhe und Geduld die feinsten Komponenten zusammenbauen – Mitten in Iowa, in der Cherry Street in Shell Rock.

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EMI Limiter halbfertige Germanium-Kompressor



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von  Professional audio am 22.09.2011
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